Über mein Leben ohne Geld

24. April 2020 Lesezeit: Lebensstile
Michelle hat ein bewegtes Leben – ein Vagabundenleben. Sie erzählt über ihre Entscheidung, ohne Geld zu leben und wie sich dadurch ihr Leben verändert hat. Dabei spricht sie über Luxus, wo sie sich zuhause fühlt und was ihr über die Jahre gefehlt hat. Michelle sucht eine Wandel-Community mit gegenseitigem Austausch und authentischen Begegnungen.

Interview mit Silvia Fischer alias Michelle

Warum wolltest Du ein Leben ohne Geld führen?

Ich hatte diesen Traum schon lange. Genauer gesagt: fünf Jahre vorher und er hat sich quasi ohne mein Zutun verwirklicht. Als ich den Traum zum ersten Mal hatte, lebte ich in einer teuren 1-Zimmer-Wohnung in München. Dann wohnte ich in einer wesentlich günstigeren Wohnung im Schwarzwald. Ich bekam eine kleine Erwerbsminderungsrente, die mir erlaubte, ein bescheidenes Leben zu führen, aber ich wollte dieses Geld einfach nicht mehr haben, weil mein Traum war ohne Geld zu leben. Ich hatte von Heidemarie Schwermer das Buch »Das Sterntalerexperiment« gelesen und ein Freund von mir hatte auch mal eine Zeitlang ohne Geld gelebt, der von Michael Holzach und seinem Buch »Deutschland umsonst« inspiriert war. Das wollte ich auch.

Wie hast Du Dich von Deinen Ängsten befreit?

Eigentlich hat mich das Leben selbst von meinen Ängsten befreit. Einen Monat bevor ich kein Geld mehr bekommen sollte, weil ich keines mehr beantragt habe, sah ich plötzlich an einem kleinen Laden, dass die Mülltonne überquoll mit essbaren Lebensmitteln. Da war ich auf einmal in das Vertrauen gekommen, dass ich auch ohne etwas zu kaufen genug Essen haben würde und das war dann auch so. Zu Essen war immer genug da.
 
Eine andere Angst war die in Bezug auf die Krankenversicherung. Man hatte mich als ich auf mein Einkommen verzichten wollte damit bedroht, keine Krankenversicherung mehr zu haben, und das kam so wie es mir gesagt wurde, scheinbar einem Todesurteil gleich ;). Aber ich bin auch nach sieben Jahren ohne Krankenkasse quicklebendig. Und als ich eine solche brauchte habe ich eine bekommen, in Frankreich war diese, da ich kein Einkommen hatte, ganz umsonst. Ich wollte dann sogar gar keine Krankenversicherung mehr haben und habe freiwillig viele Jahre darauf verzichtet, weil ich wusste, wenn ich sie brauche kann ich sie haben. Ich habe sie aber nicht gebraucht.

Wie bist Du ohne Geld durchgekommen?

Eine ganze Zeit lang habe ich mir fast jede Nacht einen Schlafplatz gesucht, im Sommer auch im Zelt ... Dann brachte mich jemand auf die Idee, mich kostenlos beherbergen zu lassen. Das heißt, ich bin einfach mit meinem Rucksack losgezogen und habe dann unterwegs auf der Straße Leute getroffen, die mich gefragt haben, wo ich schlafe. Dann habe ich geantwortet: »Ich weiß nicht«. Daraufhin haben sie mich zu sich eingeladen. Ich habe ihnen dann am Abend geholfen und dann meinten sie am nächsten Tag gesagt: »Du kannst gerne noch länger bleiben«. Daraufhin habe ich ihnen weiterhin geholfen bei allem, was ich sah, was sie brauchten und ich gerade tun wollte und dann durfte ich meistens bleiben so lange ich wollte. 

Das war normal sauber Machen und Spülen, aber auch Kochen oder Wäschewaschen. Außerdem habe ich kostenloses Essen (durch Containern oder auf Märkten) besorgt und die Leute durften mitessen. Im Verhältnis habe ich sehr viel bei den Menschen, bei denen ich beherbergt war, mitgeholfen. Es ging mir immer um den Ausgleich, darum das Empfangene auszugleichen. Dieser Ausgleich war meine tägliche Aufgabe.

Wie unterscheiden sich die täglichen Routinen?

Ein Vagabundenleben ist super spannend und meine Devise war: kein Tag ohne Abenteuer! Wobei ich unter Abenteuer etwas anderes verstehe als im landläufigen Sinne. Im Vagabundenleben ist Duschen oder Wäsche waschen ein tagfüllendes Programm: Man muss früh genug zu einem Verein fahren, um zu festen Zeiten zu duschen bevor sie schließen, beim Wäsche waschen ist es genauso. 

Jetzt in eigener Wohnung ist die Dusche, die mich anfangs wie in einem Hotel fühlen ließ, schon wesentlich näher gerückt und dann auch mit erheblich geringerem Zeitaufwand verbunden. Tagesroutine kenne ich eigentlich in dieser Form nicht, da ich wie damals immer noch versuche, aus jedem Tag ein kleines Kunstwerk zu machen. Nur jetzt zielgerichteter wie damals. Ich tue die Dinge bewusst mit Impulsen aus dem Moment heraus, dann gibt es keine Routine. Alltag gibt es für mich in dem Sinne nicht. Den empfinde ich als grauenhaft und ich setze alles daran, dass es das für mich nicht gibt.

Ich habe aber eine tägliche spirituelle Praxis schon seit vielen Jahren: die Bewegung in der Natur. Die habe ich als meine erste Priorität täglich eingebaut. So wie es passte, bin ich meist zwei Stunden bis zur Dunkelheit spazieren gegangen oder Fahrrad gefahren. Eine andere Routine war für mich sich morgens und abends zu waschen und die Zähne zu putzen, das ist zum normalen Leben nicht anders.

Was bedeutet für Dich Komfort?

Damals hat Komfort für mich nichts bedeutet, denn die Freiheit war mir wichtiger. Sie war mir sozusagen das höchste Gut. Dass ich einen Rückzugsort für mich brauche, habe ich erst neun Jahre später gemerkt, als ich plötzlich nicht mehr in den voll gestellten Räumen anderer Menschen leben konnte. 

Dann nahm ich mir eine Wohnung. Der Prozess vom bedingungslosen Dienen hin zur Selbstfürsorge zu kommen, ist für mich ein langer und beschwerlicher Weg, weil ich es nicht gewohnt war, in allen Details für mich selbst zu sorgen, da vorher sozusagen Gott immer für mich gesorgt hat. Ich bekam auf wundersame Weise in Frankreich alles, was ich brauchte ohne zu fragen.

Komfort war eigentlich ein Wort, das sich nicht in meinem Wortschatz befand. Es gab keinen Komfort in dem Sinn. Es gab für mich Luxus. Eine Matratze zu haben, auf der man täglich schläft (wie ich es im Wagen hatte, in dem ich zwei Jahre lebte) war in diesem Sinne schon Luxus. Ein Leben ohne oder mit wenig Geld ist nicht wirklich komfortabel. Es hat jedoch andere Seiten, die es wert sind, so zu leben. 

Hast Du Dich überall zuhause gefühlt?

Ja genau. Ich war überall und nirgendwo zuhause. Ich habe mich ganz besonders an den Orten, zu denen ich in der Zeit in Frankreich hingeführt wurde, zuhause gefühlt, mehr wie nur irgendwann in meinem Leben in Deutschland. Zuhause sein ist ein Gefühl. Es ist da wo meine Hausschuhe sind, die ich deshalb gerne mit mir herumführe. Es ist da, wo ich ich selbst sein darf, ich angenommen bin, so wie ich bin. Wo ich mich nicht verbiegen muss und in Einklang mit mir selbst sein darf. Wo ich mich wohlfühle. Da ist mein Zuhause. Das war fast überall der Fall.

Hast Du Dich als Außenseiter oder einsam gefühlt?

Einsam habe ich mich nie gefühlt, weil ich ein spiritueller Mensch bin und da ist man nie einsam. Aber manchmal fühlte ich mich alleine. Deshalb versuchte ich einige Jahre lang immer mal wieder in einer Gemeinschaft zu leben. 

Auf soziale Strukturen wie wir sie kennen, habe ich gerne verzichtet und im Austausch dafür bei Menschen gelebt, die mich eingeladen haben. Ich war also de facto auch meistens mit Menschen zusammen und im gegenseitigen Austausch, mehr wie in einer eigenen Wohnung. Aber eben fast immer nur mit einer Person. 

Als Außenseiterin habe ich mich deshalb gefühlt, weil ich keinerlei Kontakt mehr zur »normalen« Welt hatte, außer beim Trampen. Denn die Leute, die mich eingeladen haben, lebten fast alle irgendwo am Rande der Gesellschaft.

Hast Du in dieser Zeit in Gemeinschaften gelebt?

Ja, über mehrere Jahre hinweg habe ich versucht, bei einer Gemeinschaft Aufnahme zu finden, bei der die Menschen auch ohne Geld lebten und alles teilten, was sie haben. Aus verschiedenen Gründen passte es jedoch nicht zusammen.

Was hast Du am stärksten vermisst?

Eine Gemeinschaft.

Wie sollte Deine zukünftige Gemeinschaft sein?

Ich wünsche mir ganz stark eine Herzensverbindung zu den Menschen. Eine Atmosphäre des achtsamen, verständnisvollen und mitfühlenden Miteinanders. Ich wünsche mir eine Gemeinschaft, in der die Menschen nach Möglichkeit eine tägliche spirituelle Praxis haben. Mir bedeutet der Austausch und die Begegnung sehr viel, die darin ihren Raum haben sollten, um über Dinge zu sprechen, die in einem vorgehen. Für die man Hilfe und Unterstützung braucht. Eine Wandel-Community, in der sowohl der innere als auch der äußere Wandel eine Rolle spielt und an denen parallel gemeinsam gewirkt und gewebt wird. 

Es könnte ein kleine Tiny House Gemeinschaft mit einem alten Bauernhaus und vielen Hektar Wald, Wiesen und Obstbäumen und einem großen Permakulturgarten sein. Mit vielen verschiedenen alternativen Wohnformen, in denen jede Person, die dies möchte ihren eigenen Platz hat.

Was bedeutet für Dich Wandel?

Wandel bedeutet für mich, dass sich etwas zum Positiven verändert. Dass Heilung, wahre Begegnung und Austausch jenseits von Smalltalk Grenzen passieren kann. Dass man gemeinsam wachsen kann an den Aufgaben, die uns das Leben stellt. Dass die Leute anders aus einem Gespräch herausgehen wie sie hereingekommen sind. Ich habe das oft beobachtet, wenn ich in einen Laden gegangen bin, während ich den Jakobsweg ohne Geld gegangen bin. Zuerst haben sie mich ganz mürrisch angeschaut und gefragt, was ich will. Und wenn ich dann gesagt habe: »Ich mache den Jakobsweg ohne Geld. Haben sie vielleicht etwas zu Essen für mich?« haben sie angefangen zu lächeln und mich gefragt, ob ich ein paar von den Brötchen haben wollte und dann war nicht nur ich glücklich, sondern sie auch. So möchte ich das eigentlich bei jedem Gespräch, aber es gelingt mir nicht immer. Im Großen bedeutet Wandel für mich eine Welt ohne unnötige Giftstoffe, Umweltzerstörung, Tierleid, Hunger, Ausbeutung …

Wie schaut Dein weiteres Vorgehen aus?

Ich schaue weiter nach Gemeinschaften, besuche verschiedene und überlege wie ich vorgehen könnte, um eine eigene zu gründen. Vielleicht von Menschen, die gar nicht alle zusammen leben, aber die sich sonst verbunden fühlen. Aktuell möchte ich ein Unternehmen für ein bedingungsvolles Grundeinkommen gründen, bei dem sich jede Person mit eineinhalb bis zwei Stunden pro Tag einbringt. Auch daraus könnte eine Gemeinschaft entstehen. Ansonsten bastele ich an meiner anotherworld.site, um mit positiven Zukunftsvisionen meinen Teil zum Wandel in der Welt beizutragen. Und ich habe endlich mein Buch »Der Vagabundenblog: Vom Leben ohne Geld« veröffentlicht, um den Menschen per Taschenbuch und e-book direkt etwas in die Hand zu geben, wie sich so ein geld- und konsumbefreites Leben anfühlt.

 

Erstellt von Mary-Anne Kockel | Linkedin folgen

Vom Leben ohne Geld zur bargeldlosen Gemeinschaft
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