Ein Mehrgenerationenprojekt mit großen Zielen
Plötzlich war die Vision ganz klar: warum sollte man nur ein oder zwei Häuser zum Wohnprojekt umwandeln, wenn es die Option auf vier Häuser gibt? Dass die Objekte damit dem freien Wohnungsmarkt nicht mehr zur Verfügung stünden, war bewusst Teil der Idee. Ein Mehrgenerationenhaus sollte es werden; ein Projekt unabhängig von der Einkommenssituation der zukünftigen Bewohner. Jeder sollte sich hier seinen Wohnraum leisten können, frei von Angst vor einer stetigen Mietzinserhöhung, selbstorganisiert, gemeinschaftlich und solidarisch. Diese Idee sprach sich schnell herum und die Gruppe wuchs rasant an. Bis heute sind es über 50 Erwachsene, mit Kindern beinahe schon 60 Personen.
Das Projekt entpuppte sich schnell als Herausforderung. Es musste genauer definiert werden, wie sich die Mitglieder ausrichten wollen. Je unkonkreter so ein Projekt ist, desto mehr Fluktuation gibt es unter den Mitwirkenden. So sind die meisten Mitglieder der ersten Gruppe, die zwischen 40 und 70 Jahre alt waren, inzwischen ausgestiegen. Dies ist möglicherweise dem langen Prozess der Umsetzung geschuldet. Schließlich macht es einen Unterschied, ob man sich mit 15 Leuten arrangieren muss oder mit bis zu 60 Menschen. Viele Kompromisse werden notwendig, langer Atem ist gefragt.
Der Altersdurchschnitt ist seit dem Zusammenschluss deutlich nach unten gerutscht. Viele Mitglieder sind jetzt junge Familien mit kleinen Kindern. Vor etwa drei Monaten kam noch mal eine größere Gruppe von 23 Leuten hinzu, liebevoll die „Prinzessinnengruppe“ genannt. Sie besteht zum größten Teil aus Studenten. Die Gruppe wird in eines der vier Häuser ziehen. Sollte einer der Interessenten des kompletten Projektes während der längeren Reise der Realisierung abspringen, gibt es bereits eine Warteliste.
Die Leipziger Immobilienpreise sind in den letzten zwei Jahren stark gestiegen. Ein Objekt in unmittelbarer Nähe von SchönerHausen erlebte innerhalb eines Jahres eine unglaubliche Preisexplosion um 150.000 Euro. Die Mitglieder von SchönerHausen mussten daher zeitnah eine Entscheidung über die Finanzierung der vier Wunschhäuser in der Eisenbahnstraße fällen. Sie selbst konnten den Kaufpreis nicht aufbringen. Nach ersten Bankgesprächen wurde schnell deutlich, dass sie Unterstützung benötigen würden.
Eine Stiftung sollte die Realisierung des Projektes ermöglichen. Ende 2014 wurden die vier Häuser von der anthroposophischen Stiftung Edith Maryon für die Gruppe erworben. Die Schweizer Stiftung unterstützt bereits mehrere Hausprojekte und hat wertvolle Prämissen, darunter die gemeinschaftliche Nutzung von Flächen oder die Widmung eines Teils des Objektes zu Sozialraum.
Die große Gemeinschaft musste nun noch einmal grundsätzlich überprüfen, für was das Wohnprojekt SchönerHausen stehen soll. Wie kann ein selbstbestimmtes Leben dauerhaft und bezahlbar ermöglicht werden? Wie könnte politisches und soziales Engagement im Stadtteil aussehen? Was bedeutet gegenseitige Hilfe in einem Mehrgenerationen-Projekt konkret? Und schließlich: Wollen wir wirklich Teil des Mietshäusersyndikats werden?
Jeder Mitwirkende eines Wohnprojektes bringt seine persönlichen Anliegen, Wünsche und Vorstellungen mit ein, es wird pleniert, diskutiert, strukturiert und am Ende wird demokratisch im Konsensverfahren abgestimmt und beschlossen. Bei dieser Größenordnung ist das wahrlich kein leichtes Unterfangen. Dieser Prozess dauerte beim Projekt SchönerHausen immerhin fast ein Jahr, bis Ende Oktober 2015 der Erbbaurechtsvertrag zwischen der Stiftung und der Gemeinschaft unterzeichnet werden konnte.
Das Projekt SchönerHausen umfasst ein Investitionsvolumen von 2,6 Millionen Euro. Für die Nutzung und Umsetzung ihrer Ziele zahlen die Wohnprojekt-Mitglieder einen Erbbaurechtszins an die Stiftung. Der Vertrag zwischen den Parteien läuft über 90 Jahre. Mit dem Erbbaurechtsvertrag erhält die Gemeinschaft ein dauerhaftes Wohnrecht mit sozialgerechten und stabilen Mieten und die Gewissheit, dass ein Rückfall dieser Häuser an den konventionellen Immobilienmarkt nahezu ausgeschlossen ist. Im Einklang mit den Statuten des Mietshäusersyndikats werden die Häuser vom privaten Mietmarkt genommen, um damit dauerhaft unabhängige Orte im Stadtteil mit Platz für alternative Wohnformen und solidarische Lebensweisen zu schaffen.
Wer also ein klassisches Eigentum erwerben möchte, ist hier fehl am Platz. Wer aus dem Projekt aussteigt, hat keine verbindliche Option, selbst wenn er eineinhalb Jahre Arbeitszeit in der Bauphase investiert hat. Wer hier mitmacht und einzieht, entscheidet sich dafür aus einem idealistischen Aspekt.
Das Projekt SchönerHausen steht auf zwei Säulen: nicht allein der Kauf von vier Mehrfamilienhäusern ist teuer, sondern auch die Sanierung nach ökologischen Gesichtspunkten. Damit dieser Spagat trotzdem gelingen kann, ist die Gemeinschaft auf Unterstützung in Form von Direktkrediten von außen angewiesen. Die geliehenen Geldbeträge, die mit geringem Zinssatz oder null Zinsen von Privatpersonen eingesammelt werden, helfen der Gemeinschaft, das nötige Eigenkapital für den Bankkredit aufzubringen. Die Kalkulationen für die Finanzierung und Bauzeit sind so angelegt, dass Wohnraum für mehr Menschen geschaffen wird, als momentan zur Gemeinschaft gehören. Die überzähligen Plätze sollen nach Beendigung der Bauphase Geflüchteten zur Verfügung stehen.
Über das Sanierungskonzept von SchönerHausen wird gemeinsam entschieden. Die einzelnen Häuser unterscheiden sich dabei in ihren Prioritäten an Wohnform und Sanierungsmerkmalen. In zwei Häusern entstehen Haus-WGs mit großen Gemeinschaftsküchen, verbunden mit dem Ziel, auch Lebensmittel zu teilen. Gleichzeitig entstehen Wohnungen mit Coworking-Spaces für die Verbindung von Leben und Arbeiten. Eines der Häuser soll voraussichtlich barrierefrei ausgebaut werden. In diesem Teil soll es auch kleinere Wohnungen und Einzelwohnungen geben für Bewohner, die trotz Gemeinschaft ihren ganz persönlichen Raum benötigen.
Darüber hinaus sollen die freien Flächen von der Projektgemeinschaft genutzt werden, um sich politisch wie sozial im Stadtteil zu engagieren. Das Hinterhaus, das im letzten Jahr aus unbekannten Gründen ausbrannte, spielt dabei eine tragende Rolle. Dieser Raum soll für öffentliche und kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte und Theater sowie für politische Arbeit genutzt werden. So entsteht eine Begegnungsstätte und Anlaufpunkt für Menschen aus der Nachbarschaft und dem Kiez.
Antidiskriminierungsarbeit ist ein besonderes Anliegen der Gemeinschaft. Geplant sind Diskussions- und Gesprächsveranstaltungen, die auch externen Besuchern offen stehen. Für den kreativen Teil sind universell nutzbare Werkstätten angedacht. Hier kann man reparieren und sich vielleicht auch kreativ mit Holz oder Ton austoben.
Es gibt eine Unmenge Ideen, die von den Mitgliedern der Gemeinschaft in die Projektarbeit eingebracht werden. Jede muss einzeln diskutiert werden, und das zusätzlich zu den grundlegenden Fragen, die sowieso schon auf der Tagesordnung stehen. An diesen oft langwierigen Prozessen kann eine große Gruppe wachsen. Einige große Wohnprojekte sind allerdings schon an dieser Herausforderung gescheitert. Wie fällt man eine Entscheidung? Und was ist überhaupt eine faire Entscheidung? Das ist äußerst komplex und nicht jedermanns Sache.
Um dieses umfangreiche System zu erleichtern und nicht in administrativen Prozessen festzustecken, wurden mehrere Arbeitsgemeinschaften gegründet, darunter eine für die Koordination, eine für den Gruppenprozess, eine für die Öffentlichkeitsarbeit und eine Fundraising-AG. Elementar sind die Bau-AG und die Verwaltungs-AG. Diese Organisation erleichtert die Bearbeitungsprozesse ungemein und verteilt die Verantwortung auf mehrere Schultern. Daher sollte jeder Teilnehmer nach seinen Fähigkeiten und Kompetenzen möglichst in einer AG mitarbeiten.
Das allgemeine Plenum von SchönerHausen tagt einmal wöchentlich. Hier werden die meisten Entscheidungen getroffen. Die Treffen der Haus-WGs von zwei Häusern finden öfter statt und dann gibt es noch die bereits erwähnten Arbeitsgruppentreffen. Das klingt zunächst nach einem großen Zeitaufwand, ist jedoch abhängig von der jeweils aktuellen Projektphase. So ist natürlich die Bau-AG in der Sanierungsphase am meisten gefordert. Dabei ist der detailliert ausgearbeitete Finanzplan immer im Auge zu behalten. Wie gut, dass es einige Fachleute in der Gemeinschaft gibt. Das erleichtert die Sanierungsplanung und den Umfang der Sanierungen.
Die Eigenleistung der Bewohner bewegt sich zwischen 15 und 18 Prozent, was arbeitstechnisch schon ein gutes Pensum ist. Es gibt inzwischen einen genauen Katalog, wann wo welche Arbeitsleistungen anfallen. Auch das war ein Lernprozess für die Gruppe. In der Anfangsphase dachte man, dass eine höhere Eigenleistung die Miethöhe mindern würde – ein Trugschluss, inzwischen hat die Gemeinschaft festgestellt, dass zum Beispiel Bankdirektkredite einen größeren Einfluss auf den Mietzins haben.
Im Dezember letzten Jahres konnte endlich mit den ersten Arbeiten in den Häusern begonnen werden. Voll motiviert und gut gelaunt wurde der Keller von Müll befreit, PVC und Spanplatten wurden herausgerissen und die Häuser wurden winterfest gemacht. Die Gemeinschaft hatte sich eine Außenküche gebaut, die sich bis jetzt schon gelohnt hat. Die Bauhelfer/innen konnten mit leckerem Eintopf und Glühwein versorgt werden. In diesem Frühjahr, sobald es das Wetter zulässt, soll mit der Sanierung begonnen werden. Insgesamt sind dafür zwei Jahre eingeplant. Wenn alles nach Plan verläuft, wollen bereits die ersten Bewohner Ende 2016 dort einziehen. Der späteste Einzugstermin ist für Ende 2017 vorgesehen.
Erstellt von Karin Demming in Zusammenarbeit mit Detlef Plaisier, Journalist, Autor und Lektor | Linkedin folgen