Nachbarschaft leben ist mehr als Wohnen
Schon seit ich nach dem Auszug der Kinder und dem Tod meines Mannes in meinem Haus in Neckargemünd allein geblieben war, hatte mich der Gedanke an eine Wohngemeinschaft beschäftigt. Ich fand es traurig, dass meine Freude an gemeinschaftlichem Handeln jetzt so wenig gebraucht wurde. Aber noch hielten mich die Erinnerungen in der vertrauten Umgebung fest. Das änderte sich, als ich meinen neuen Lebensgefährten Thomas kennenlernte, der im »Generationenhof« in Landau in der Pfalz wohnte, einem Wohnprojekt für Menschen jeden Lebensalters.
Nach einem kurzen inneren Kampf verkaufte ich mein Haus und zog zu Thomas in das Mehrgenerationenhaus. Mir war bewusst, dass es nicht einfach sein würde, im Alter von 68 Jahren noch einmal in einer fremden Gegend Fuß zu fassen und mir völlig neue Lebensumstände vertraut zu machen, und ich sah auch voraus, dass ich Heimweh haben würde. Aber ich begriff es auch als große Chance. Sofort konnte ich erleben, wie lebendig diese Gemeinschaft war, denn mitten im Chaos meines Einzugs durften wir uns in den ersten Tagen bei Wohnungsnachbarn an den gedeckten Tisch setzen. Kurz darauf wurde das zweite Gemeinschaftshaus bezogen, und so ergab sich die Gelegenheit für uns, den neu Einziehenden mit ihren noch nicht funktionsfähigen Küchen und Bädern mit warmer Suppe und unseren Badezimmern über die ersten schwierigen Tage zu helfen. Nun war unsere Gemeinschaft vollständig: 56 Bewohner im Alter von wenigen Monaten bis zu 80 Jahren ordneten ihr Leben neu als ein dörfliches, ja, fast familiäres Miteinander. Die Wohnungen sind verschieden groß und ganz auf die Bedürfnisse der Bewohner zugeschnitten. Beide Häuser umschließen einen großen Innenhof oder besser: Innengarten, mit dem Spielplatz, den Grünflächen, zahlreichen Sitzplätzen, Gemüsebeeten, der Laube, dem Brunnen und der Feuerstelle zum Grillen oder Plaudern an Sommerabenden. Das beginnt meist so, dass sich jemand gut sichtbar mit einer Flasche Wein in den Garten setzt und dann sehr bald Gesellschaft bekommt!
Als gemeinschaftlich genutzte Räume haben wir einen Gemeinschaftsraum, das Büro, das Gästeappartement, den Kinderspielraum und den Werkraum. Im Gemeinschaftsraum treffen wir uns alle zwei Wochen, um für anfallende Fragen und Probleme eine Lösung zu finden. Hier werden aber auch Feste gefeiert, hier kann man an der Gymnastikstunde, beim Yoga, der Meditation, am Sonntagsfrühstück, dem Literaturkreis und dem Spieleabend teilnehmen oder gemeinsam Filme sehen. Da wir uns in demokratischer Weise selbst verwalten, übernimmt jeder Erwachsene mindestens eine Gemeinschaftsaufgabe, u.a. in der Verwaltung, der Pflege unserer Homepage, der Müllentsorgung, der Gartenarbeit, Reinigungsarbeiten oder der Organisation von Veranstaltungen. Da wir aus verschiedenen Berufen und Lebenskreisen kommen, können wir aus einem großen Potential von Fähigkeiten schöpfen. Wenn Mäxchens Eltern zum Elternabend müssen, gibt es genügend Wahlgroßeltern, die sich um ihn und seinen kleinen Bruder kümmern. Muss die 8o-jährige Klara zum Arzt gefahren werden oder braucht Einkaufshilfe, hat sie sofort eine Auswahl von spontanen Hilfsangeboten, und wenn mein Computer wieder mal »streikt«, brauche ich nicht lange auf einen Retter zu warten. Das alles funktioniert vor allem durch unsere Verbindung per »Rundmail« , so dass auf Angebote und Anfragen sehr schnell reagiert werden kann. So eine Nachricht kann aber auch ganz fröhlich und lapidar heißen: »Lust auf Kaffee und Kuchen? 15 Uhr im Gemeinschaftsraum!«
Schon zweimal, seit ich hier bin, haben wir um den Tod eines lieben Mitglieds trauern müssen. Unsere bewegenden Gedenkstunden und die still brennenden Windlichter, um die wir uns abends im Garten versammelten, brachten uns einander sehr nahe. Aber zweimal durften wir auch mit großer Freude die Geburt eines neuen Kindes feiern. So ist mit Geburt und Tod, durch Mit-Trauern und Mit-Freuen, mit vielen alltäglichen oder festlichen Begegnungen, das Leben denen von uns, die vorher allein lebten, noch einmal ganz nahe gekommen, mit all den Menschen, denen wir vertrauen, mit dem Kinderlärm, dem wir mit Lächeln begegnen, weil wir ja diese Wohnform bewusst gewählt haben, und mit der Hoffnung, dass wir bis an unser Lebensende hier bleiben und zuletzt auf die Hilfe hoffen können, die wir selbst zu geben bereit sind.
Erstellt von Karin Demming in Zusammenarbeit mit Gudrun Reinboth | Linkedin folgen