Der Pflegehof – mit Demenz in Gemeinschaft älter werden
Interview mit Jan Adams
Hallo Jan, kannst Du Dich bitte kurz vorstellen?
Hallo, mein Name ist Jan und ich bin einer der Gründer:innen der Initiative Pflegehof. Ich habe im Bachelor klassische Betriebswirtschaft und im Master Entrepreneurship & Innovation studiert. Während meines Studiums habe ich mich viel mit der Gründung von neuen Unternehmen und insbesondere Start-ups beschäftigt. Dabei habe ich immer mehr das Gefühl bekommen, dass es dringend an der Zeit wäre den Fokus weg von der Profitmaximierung hin zu gemeinwohlorientiertem und verantwortungsvollen Wirtschaften zu verschieben. Daher versuche ich nun mein erworbenes Wissen für »das Gute« einzusetzen. Ich glaube wir müssen Wirtschaft heute ganz neu denken. So bin ich zum sozialen Unternehmertum gekommen und habe schließlich auch die anderen Gründer:innen der Initiative Pflegehof kennengelernt.
Um was genau geht es beim Pflegehof?
Die Initiative Pflegehof hat es sich zur Aufgabe gemacht älteren Menschen mit Pflegebedarf und insbesondere Demenz einen Lebensabend in Würde zu ermöglichen. Daher denken wir Leben, Wohnen und Pflege im Alter radikal neu. Gemeinsam mit Betroffenen, ihren Angehörigen, Forscher:innen der Universität Maastricht, einem Architekturbüro und einem Pflegedienst haben wir eine Alternative zu konventionellen Pflegeheimen entwickelt: Das Konzept Pflegehof.
Auf dem Pflegehof steht die maximale Selbstbestimmung der Bewohner:innen im Mittelpunkt. Gelebt wird in überschaubaren Wohngemeinschaften, in denen gemeinsam über alle Fragen des Zusammenlebens entschieden wird. Eingebettet in grüner Umgebung und im Einklang mit Natur und Tieren erlaubt der Pflegehof ein Älterwerden in einer Gemeinschaft, in der es keine Verlierer oder Vereinsamung gibt.
Was ist Deine bzw. Eure Motivation dieses Gemeinschaftsprojekt auf den Weg zu bringen?
Meine Großeltern waren immer sehr wichtige Bezugspersonen für mich. Leider sind sie nun in einem Alter angekommen, in dem über einen Umzug in ein Pflegeheim nachgedacht werden muss. Meine Großeltern haben ihr Leben lang auf dem Land und viel Zeit in der Natur verbracht. Bei der Vorstellung, dass Sie ihre letzten Jahre in einem anonymen Betonklotz verbringen müssen, in dem die Bewohner:innen und Pflegekräfte gleichermaßen unglücklich sind, wird mir übel. Da muss eine andere Lösung her.
Kannst Du etwas über den Hintergrund dieser Idee erzählen?
Die Idee der Pflegehöfe gibt es eigentlich schon seit etwa 1990. Leider ist das Konzept in Deutschland kaum verbreitet. Unsere europäischen Nachbarländer, wie die Niederlande sind da deutlich weiter.
Unser Teammitglied Katharina Rosteius promoviert an der Maastricht University zum Thema »Bauernhöfe für Menschen mit Demenz«. Ihre Forschung und die Ihrer Kolleg:innen zeigt, dass Pflegehöfe eine großartige Alternative zu konventionellen Pflegeheimen darstellen. Erste Forschung deutet darauf hin, dass Menschen auf Pflegehöfen eine signifikant höhere Lebensqualität aufweisen – und dass bei gleichbleibender Pflegequalität. Es gibt sogar erste Anzeichen, dass Bewohner:innen von Pflegehöfen nicht nur glücklicher sind, sondern zudem eine höhere Lebenserwartung haben, als in konventionellen Pflegeheimen.
Auch für die Pflegekräfte ist das Modell Pflegehof deutlich attraktiver, als die Arbeit in einem konventionellen Pflegeheim. Der Leiter eines Pflegehofs in den Niederlanden berichtete uns sogar von einer Warteliste für neue Mitarbeiter:innen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Davon können die aller meisten Pflegeeinrichtungen hierzulande nur träumen. Wir hoffen, dass wir mit unserem Konzept Pflegehof ein Modell schaffen können, in dem sich Pflege sowohl für Pflegende als auch für Gepflegte gleichermaßen wieder lohnt.
Wer ist Eure Zielgruppe? Welche Hilfestellungen bietet Ihr vor allem bei Demenz an?
Der Pflegehof richtet sich an ältere Menschen mit Pflegebedarf und insbesondere Demenz. Er soll eine alternative Lösung zum Umzug in ein konventionelles Pflegeheim bieten. Auf dem Pflegehof können alle pflegerischen Leistungen, die ein konventionelles Pflegeheim anbietet – bis hin zur Sterbebegleitung, vollumfänglich wahrgenommen werden.
Ältere Menschen, die nach Gemeinschaft suchen, dürfen in der Wohnform Wohngemeinschaft naturgemäß ein hohes Maß an Nähe zu anderen Menschen erwarten. Die Wohngemeinschaften bieten sogar ein außergewöhnlich intensives Maß an Gemeinschaft. Zwar haben alle Bewohner:innen ihren eigenen Rückzugsort, dennoch sind die Pflege-WGs klar auf ein Miteinander ausgelegt. Hier wird nicht nur zusammen gegessen, sondern es werden auch gemeinsame Aktivitäten unternommen.
Wer maximale Selbstbestimmung, familienähnliche Strukturen und Kontakt zu Gleichgesinnten sowie zur Natur und Tieren sucht, der kann auf dem Pflegehof ein neues Zuhause finden. Wer lieber alleine ist, keinen Kontakt zu anderen und stattdessen seine Ruhe möchte, könnte mit dem Leben auf dem Pflegehof überfordert sein.
Wann soll der Pflegehof umgesetzt werden? Was fehlt Euch noch dazu?
Derzeit sind wir auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück um das Konzept Pflegehof in die Tat umzusetzen. Bei der Grundstückssuche schauen wir uns deutschlandweit um. Die derzeit wahrscheinlichste Option liegt im Raum Niedersachsen.
Gleichzeitig suchen wir nach Finanzierungspartner:innen, die das Konzept Pflegehof unterstützen möchten. Dabei sind wir nicht nur auf der Suche nach größeren Investor:innen. Derzeit prüfen wir ein genossenschaftliches Modell, mit dem wir den Pflegehof auch für kleinere Unterstützer:innen attraktiv machen möchten. Das Projekt ist nicht als Spekulationsobjekt ausgelegt. Lieber wollen wir ein gemeinwohlorientiertes Projekt von vielen für viele umsetzen.
Wer kann bei Euch mitmachen oder wie kann man Euch unterstützen?
Bei der Entwicklung des Konzepts haben wir versucht auf die Bedürfnisse aller Parteien eines Pflegehofs einzugehen. Das sind nicht nur die Bewohner:innen selbst, sondern genauso ihre Angehörigen und die Pflegekräfte. Jede:r die/der Lust hat, sich zum Konzept auszutauschen ist herzlich eingeladen, mit uns in zu treten.
Auch erleben wir, dass es immer wieder Menschen gibt, die die Initiative ergreifen möchten und ein Wohn- und Pflege-Projekt für die Senior:innen ihrer Gemeinde umsetzen möchten, aber nicht so richtig wissen, wo sie anfangen sollen. Wir durften viele tolle bereits realisierte Projekte besuchen und haben viel von anderen Gründer:innen profitiert, die uns bereitwillig Rede und Antwort gestanden haben. Das möchten wir gerne zurückgeben. Hier unterstützen wir gerne so gut wir können. Wir glauben einfach fest daran, dass wir mit Kooperation immer weiterkommen, als mit Konkurrenz.
Was wünscht Du Dir für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass immer mehr Menschen verstehen, dass wir Wirtschaft heute anders denken müssen. Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft irgendwann satt sind und uns wieder auf die Dinge zurückbesinnen, die uns wirklich glücklich machen. Und natürlich wünsche ich mir, dass wir unser Konzept Pflegehof so schnell wie möglich realisiert bekommen und beweisen können, dass Leben und Pflege im Alter auch anders gehen.
Erstellt von Karin Demming | Linkedin folgen