Mehr als gemeinschaftliches Wohnen – der Weiselhof als Lernort
Interview mit Silke Steinbronn und Thomas Hahner vom Weiselhof
Könnt Ihr Euch kurz vorstellen?
Wir sind Silke und Thomas, beide 49 Jahre alt. Seit 6 Jahren leben wir zusammen in einer Patchwork-Konstellation, wir haben insgesamt vier Töchter zwischen 10 und 13 Jahren, dazu eine Hündin, eine Katze, 20 Hühner, 3 Schafe und reichlich Honigbienen. Silke ist Agrarwissenschaftlerin, Thomas verbrachte sein bisheriges Leben mit Software und hat in den letzten Jahren neben dem Gärtnern auch seine Freude am ökologischen Bauen entdeckt.
Wie seid Ihr zum Hofprojekt gekommen?
Seit wir uns kennen, versorgen wir uns selbst insbesondere mit Gemüse, aber auch mit Obst, Eiern, Honig, manchmal auch Fleisch. Zunächst bewirtschafteten wir eine Gartenfläche, die in einiger Entfernung von unserem Wohnort lag. Das machte unseren Alltag sehr anstrengend und wir begannen von einem Haus zu träumen, das stadtnah liegt und über einen großen Garten verfügt, in dem wir unser Gemüse und Obst anbauen und unsere Tiere halten können. Und das Ganze am besten mit anderen Menschen, die auch so leben möchten wie wir.
Nach einer kurzen Suche stießen wir auf eine kleine unscheinbare Anzeige bei ebay Kleinanzeigen und wussten gleich: Das ist es – ein großes Mehrfamilienhaus außerhalb der Stadt mit einem knapp 1 Hektar großen Garten. Allerdings zu dem Zeitpunkt noch voll vermietet. Wir haben das Haus gekauft und angefangen ökologisch zu sanieren immer in dem Vertrauen darauf, dass es irgendwann so wird wie wir uns das erträumt haben. Nach und nach sind dann Altmieter ausgezogen und wir haben Menschen gefunden, die unsere Werte teilen und mit denen wir heute gemeinschaftlich wohnen. Aktuell sind es fünf Familien, bzw. 17 Menschen, neben drei weiteren „Altmieter-Parteien“. Wir selbst sind die Ältesten, die anderen erwachsenen Mitbewohner*innen sind zwischen 30 und 40 Jahre alt.
Was sind die 5 essentiellen Merkmale, die den Weiselhof ausmachen? Was sind Eure Handlungsziele?
1. Gutes Leben für den Menschen
2. Teilen statt Besitzen
3. Selbstversorgung
4. Leben im Einklang mit der Natur
5. Teilen von Wissen (Bildung und Öffentlichkeitsarbeit)
Was versteht Ihr unter einem „guten Leben für die Menschen“?
Wir leben zusammen, können uns gegenseitig unterstützen und unser Leben dadurch sehr erleichtern. So kaufen wir z.B. gemeinsam ein, das macht immer eine Wohnpartei, die für zwei Wochen dafür Sorge trägt, dass wir alle wichtigen Produkte, die wir nicht selbst produzieren, in unserem „Lädchen“ haben. Das spart enorm viel Zeit, wenn nicht jede*r einzeln einkaufen gehen muss. Wir helfen uns gegenseitig, so z.B. durch gegenseitige Kinderbetreuung oder Übernahme vom „Babyphone“, wenn die jungen Eltern mal einen Abend ausgehen möchten.
Wir wohnen schön und in einem guten Raumklima, z.B. durch diffusionsoffene Wände mit Lehmputz und haben einen sehr großen Garten, den wir gemeinsam nutzen und in dem wir uns gemeinsam verwirklichen können.
Der Weiselhof steht für Selbstversorgung und Ihr habt auch eine SoLaWi mitgegründet. Wie dürfen wir uns das vorstellen?
Das Thema „Selbstversorgung“ hat nicht für alle in unserer Gemeinschaft den gleichen Stellenwert, so gibt es einige von uns, die von einer kompletten Autarkie träumen, andere erfreuen sich zwar am frischen Gemüse aus dem Garten, begeistern sich aber nicht für die damit verbundene Gartenarbeit.
Unter unseren Bewohner*innen haben wir einige Kompetenzen vereinigt: wir haben Expert*innen in Sachen Gemüse- und Obstanbau, Landwirtschaft, Permakultur, Wildkräuter, Kompostierung, Bienen, Hühner u.s.w. Im letzten Jahr haben wir es geschafft große Gemüseüberschüsse zu produzieren und einzumachen, sodass wir auch über den Winter z.B. noch etwas von unseren Tomaten haben. Gemüse und Obst produzieren wir auf ökologische Weise und in Mischkultur, wir nutzen fast ausschließlich samenfestes ökologisches Saatgut und verwenden bei Obstbäumen insbesondere alte Sorten. Zudem achten wir darauf, dass auch Wildpflanzen und Wildtiere ihre Plätze bei uns finden.
Und ja, wir haben einen Verein für solidarische Landwirtschaft (mit)gegründet und eine Fläche bei einer lokalen Bäuerin gepachtet. Hier wurde im ersten Jahr Gemüse für 25 Haushalte produziert, die Gemüsepflanzen dazu haben wir auf dem Weiselhof vorgezogen, zwei unserer Mitbewohner*innen sind bei unserer Solawi („solawING“) angestellt und fast alle von uns sind dort Mitglieder und irgendwie involviert. Ziel ist es hier, auch anderen Menschen in der Region zu ermöglichen leckeres selbst produziertes Gemüse frisch vom Acker zu konsumieren. Außerdem geht es uns darum, wieder auf lokaler Ebene autarker zu werden.
Was waren die größten Herausforderungen bisher?
Wir sind eine junge Gemeinschaft und seit es uns in der 5-er-Konstellation sind, gibt es Corona. Das hat uns immer wieder gezwungen ein bisschen auf Abstand zu gehen. Zum Teil haben wir unsere Weiselhof-Meetings dann digital gemacht – jede*r zugeschaltet aus seiner Wohnung. Das hätten wir uns alle natürlich anders gewünscht und manche gemeinsamen Projekte sind dadurch ins Stocken geraten.
Ihr seid mit Eurem Projekt auch ein Lernort. Wer ist Eure Zielgruppe und was ist Euch besonders wichtig bei der Wissensvermittlung?
Uns ist es besonders wichtig Menschen für unsere Themen zu begeistern, das sind dann Themen wie z.B. Selbstversorgung, Herstellung von Terra Preta, (Wurm-)Kompost und Bokashi, ökologische Sanierung, Gemeinschaftswohnen etc. Wir versuchen immer offen zu sein und Menschen einzuladen mit uns in den Austausch zu kommen. Dazu betreiben wir auch Öffentlichkeitsarbeit, z.B. durch Fernseh- und Zeitungsbeiträge und unsere Tage der Offenen Türe. Bei unserem letzten Tag der offenen Tür hatten wir ca. 100 interessierte Besucher*innen über den Tag verteilt und konnten uns dabei weiter vernetzten.
Zudem kooperieren wir mit einer Montessori-Schule und jede Woche kommen bis zu 25 Schüler*innen, die hier ihre Projekte durchführen (z.B. Bewirtschaftung eines Schulgartens) und denen wir mit unserem Know-How zur Verfügung stehen.
Die Organisation von Schulungen und Workshops haben wir auch geplant, allerdings hat uns da in den letzten Monaten Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber 2022 hoffen wir auf einen Anfang.
Was muss ich mitbringen, wenn ich bei Euch mitmachen möchte? Bzw. wer kann mitmachen und was sind die Spielregeln?
Wir wünschen uns tolerante Menschen, die nicht dogmatisch sind und nicht per se wissenschaftliche Erkenntnisse leugnen. Außerdem Menschen, die bereit sind Konflikte anzusprechen und gemeinsam Lösungen zu finden. Menschen, die sich auf den Weg machen hin zu einem nachhaltigeren Leben, die offen sind und ihre Erfahrungen gerne teilen.
Was ist Eure Vision für das Projekt?
Seit unserer Entstehung in 2019 konnten wir schon Vieles umsetzen von dem was wir uns erträumt hatten. Wir hatten sehr viel Glück auf unserem Weg und vor allem haben wir tolle Menschen gefunden, die unsere Werte teilen und mit uns „bewegen“ möchten. Und jede*r bringt hier seine Fähigkeiten ein, wodurch tolle Dinge entstehen konnten.
Unser Wunsch ist es viele Menschen zu inspirieren und zu motivieren neue Wege zu gehen. Das versuchen wir auch über den von uns mitgegründeten Verein der solidarischen Landwirtschaft und der von uns mitgegründeten Genossenschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, ökologischem und fairem Wohnraum zu schaffen. Und damit möchten wir letztlich einen kleinen Beitrag leisten zu einem sozial-ökologischen Wandel, der aus unserer Sicht so dringend nötig ist.
Was möchtet Ihr anderen auf den Weg mitgeben?
Einfach anfangen! Handeln!
So oft könnten wir den Kopf in den Sand stecken bei all den Problemen, mit denen wir aktuell und weltweit konfrontiert sind und unsere Sorge ist groß vor dem was in der Zukunft auf unsere Kinder zu kommt. Wir haben für uns festgestellt, dass es hilft, nicht zu viel darüber nachzudenken, sondern ins Handeln zu kommen.
Einfach machen, dabei den 100%-Anspruch hinter sich lassen und möglichst viele Menschen mitnehmen.
Erstellt von Karin Demming | Linkedin folgen