Demographischer Wandel
Was ist der Demographische Wandel?
Demographischer Wandel ist die Veränderung der Bevölkerungsentwicklung und Altersstruktur über einen längeren Zeitraum hinweg.
Was wandelt sich in der Bevölkerung und warum?
Es verändert sich der Altersaufbau der Bevölkerung, d.h. der Anteil einzelner Altersgruppen im Verhältnis zur Zahl der Gesamtbevölkerung.
Ursachen dafür sind ein Bevölkerungsrückgang, eine geringere Sterblichkeit, eine steigende Lebenserwartung, eine geringe Geburtenentwicklung, Wanderungen und eine Altersstrukturveränderung.
Das bedeutet für die Bundesrepublik Deutschland:
— Die Zahl der im Land lebenden Menschen sinkt langfristig.
— Wir werden älter und sterben später als in früheren Generationen.
— Es werden weniger Kinder geboren.
— Menschen verändern häufiger und schneller ihren Wohnsitz.
— Es wird anteilig mehr ältere Menschen und gleichzeitig weniger jüngere Menschen geben.
Welche Gründe gibt es dafür?
Es gibt zahlreiche Gründe für diese Entwicklungen. Die wichtigsten werden hier aufgeführt.
Die historischen Ereignisse - das Ende des zweiten Weltkrieges und die Wiedervereinigung - führten zu einem veränderten Geburtenverhalten. Nach dem 2. Weltkrieg wurden zahlreiche Kinder geboren. Diese Generation wird als Babyboomer bezeichnet (Jahrgänge der 50er und 60er Jahre). Der sogenannte Pillenknick sowie der Geburtenknick in den 90er Jahren führten zu einer Verringerung der Kinderzahl.
1. Lebensbedingungen
Die Verbesserung der Lebensbedingungen ermöglicht ein langes Altern. Die verbesserte medizinische Versorgung führt zu einer steigenden Lebenserwartung, d.h. die älteren Menschen beziehen länger Rente bzw. leben nach Renteneintritt länger als unsere Ururgroßeltern. Auch der höhere Lebensstandard, die technischen Unterstützungen und die geringeren körperlichen Belastungen lassen jeden fitter in Rente gehen.
2. Pillenknick
Seit der Einführung der hormonellen Verhütungsmittel können Frauen selbst bestimmen, wann sie Kinder bekommen wollen. Dadurch verändert sich der Umgang mit Themen wie Familiengründung und Lebensplanung.
3. Wanderung
Gleichzeitig veränderte sich das Wanderungsverhalten innerhalb von Deutschland. Bis 1961 wanderten zahlreiche Bürger zwischen den beiden deutschen Staaten. Nach der Wiedervereinigung verließen über 1,5 Mio. Bürger die neuen Bundesländer und wanderten in die alten Länder. Seit den 2000er Jahren wandern zahlreiche Menschen in die Städte. Innerhalb der Städte kam es mit der Suburbanisierung zu Stadt-Umland-Wanderungen, die in den 70 Jahren in den alten bzw. 90er Jahren in den neuen Bundesländern stattfand.
4. Politik
Die Emanzipation und Gleichstellung von Mann und Frau veränderten die Verhaltensmuster der Menschen. Nach der Wiedervereinigung führten Unsicherheiten und veränderte gesellschaftliche Werte in den neuen Bundesländern zu einer geringeren Kinderanzahl. Diese Phase der Bevölkerungsentwicklung wird als demographischer Schock bezeichnet. Die anhaltende niedrige Geburtenrate wird sich nicht verändern, da es weniger junge Frauen geben wird, die Kinder bekommen können. Dies führt langfristig zu einem kontinuierlichen Bevölkerungsrückgang, der auch nicht mit Zuwanderungen ausgeglichen werden kann. Die Generation der Babyboomer wird ab ca. 2020 in Rente gegen.
Die aktuelle Alterspyramide zeigt den Altersaufbau der Bevölkerung. In der aktuellen Bevölkerungsprognose des statistischen Bundesamtes von 2015 wird geschätzt, dass die Bevölkerungszahlen für die nächsten 5 Jahre steigen werden und ab 2035 auf das derzeitige Niveau von 82,2 Mio. Einwohnern sinken werden. Danach wird die Bevölkerungszahl kontinuierlich bis 2060 auf 76,4 Mio. abnehmen. Die Bevölkerungsstruktur wird sich deutlich verändern. Die Anzahl älterer Menschen wird steigen und die Anzahl jüngerer Menschen (unter 65 Jahre) wird sinken. So sinkt beispielsweise die Anzahl der 20- bis unter 65-Jährigen von aktuell 49,8 Mio. auf 43,9 Mio. im Jahr 2035 und 39,6 Mio. im Jahr 2060.
Literatur:
Kröhnert, Steffen (2008): Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Berlin
Grünheid, Fiedler (2013): Bevölkerungsentwicklung. Daten, Fakten, Trends zum demografischen Wandel. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Wiesbaden
Hoßmann, Lettow, Münz (2009): Glossar. Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung.
Humanik, Schröder (2008): Sozialstruktur Deutschlands. UTB Basics. UVK Verlagsgesellschaft mbH. Konstanz
Welche wichtigen Folgen haben diese demographischen Entwicklungen?
1. Soziale Veränderungen
Die demographische Entwicklung führt zu einer Veränderung der Haushaltsstruktur:
— Ein- und Zwei-Personen-Haushalte nehmen zu.
— Zwei- und Drei-Generationen-Haushalte verlieren an Bedeutung.
— Junge Menschen leben allein oder in Wohngemeinschaften.
Als Gründe werden dafür die Veränderungen gesellschaftlicher Normen und individueller Lebensformen genannt. Das heißt:
— Es gibt mehr unverheiratete Paare und Paare ohne Kinder.
— Es gibt mehr Alleinerziehende.
— Es gibt mehr Kinder in nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften.
— Der Anstieg von Scheidungszahlen im mittleren/späten Alter führt zu einer »Singularisierung des Alters«.
Die aktuelle Prognose für 2035 schätzt:
(1) eine Zunahme an Ein-Personen-Haushalten (2015: 41%, 2035: 44%).
(2) dass es viele Ein-Personen-Haushalte in den Städten geben wird: aktuell leben 53% der Menschen in den Städten allein, 2035 könnten es 56% sein.
(3) dass die durchschnittliche Haushaltsgröße bei 1,9 Mitgliedern liegen wird (zum Vergleich: 1991: 2,27 und 2015: 2,0).
(4) dass insgesamt die Anzahl der Ein- und Zwei-Personen-Haushalte steigen wird (von 45 Mio. auf 50 Mio.).
(5) dass von den prognostizierten 50 Mio. Ein- und Zwei-Personen-Haushalten allein 26 Mio. Haushalte 60 Jahre und älter sein werden.
Die Modernisierung und Individualisierung des Lebensstils (Pluralisierung der Lebensentwürfe) lässt eine andere Lebensplanung zu (Heterogenisierung):
— Der Anspruch auf Selbstbestimmung und Mitgestaltung verändert Entscheidungen in der Lebensführung. Jeder entscheidet selbst wie er (im Alter) leben möchte.
— Frauen verwirklichen sich selber. Statt ein traditionelles Frauenbild zu erfüllen, gehen Frauen andere Wege. Frauen sind damit nicht mehr die klassischen Familienunterstützer und es gibt Frauen, die keine Kinder haben.
— Die räumliche Distanz zwischen Familienmitgliedern (durch Beruf, Bildung) führt zum getrennten Altern der Generationen. Dies führt zur Auflösung der Mehrgenerationenhaushalte und zunehmenden Singularisierung im Alter.
— Altersarmut und davon besonders betroffene alleinlebende Ältere werden zukünftige Themen in der Sozialpolitik sein. Vor allem in den neuen Bundesländern führen geringere Einkommen zu später geringeren Renten. Die Diskontinuität in den Erwerbsbiographien, die prekären Beschäftigungssituationen und die zukünftig höhere Anzahl an Alleinlebenden (Wegzug der Kinder), führen zu einem höheren Armutsrisiko im Alter.
2. Baulich-Räumliche und versorgungstechnische Veränderungen
Wanderungsverhalten im ländlichen Raum: Die anhaltende Abwanderung junger Menschen aus den ländlichen Regionen in die Städte führt zum »Dorfsterben« (hoher Leerstand, Wüstungen, Wertverlust von Immobilien, Verfall von Kulturgut). Abwasser-Trinkwasserversorgung, Straßen und Stromleitungen, Breitbandausbau: Die Abwanderung in die Städte führt dort zu einer erhöhten Nutzerzahl. In den schrumpfenden Räumen führt der Rückgang zu einer problematische Finanzierung und Erhaltung der Daseinsvorsorge sogenannter »gleichwertiger Lebensverhältnisse«.
3. Ökonomische und fiskalische Veränderungen
Die hohen finanziellen Aufwendungen bei geringeren Steuereinnahmen durch geringer Bevölkerungszahl und geringere zu versteuernden Einkommen (Renten) werden bei Beibehaltung der aktuellen Steuerpolitik problematisch werden. Die Absatzmärkte werden eine Nachfrageverschiebung in der Wirtschaft und bei Dienstleistungen sowie ein verändertes Konsumverhalten (Anteilig mehr Ältere) spüren. Der Arbeitsmarkt wird einen großen Fachkräftebedarf erleben, wenn die Babyboom-Generation ab 2020 in Rente gehen wird. In der medizinischen Versorgung (besonders in der Pflege) wird es einen großen Bedarf an Fachkräften geben:
— Mit der Zunahme von älteren Menschen nimmt auch die Anzahl an chronisch Kranken, von Demenz, Multimorbidität und Pflegebedürftigkeit betroffener Menschen zu. Es müssen damit deutlich mehr Menschen - zusätzlich noch länger - versorgt werden.
— Die Anzahl zu Hause gepflegter Menschen wird vermutlich abnehmen, da die Kinder nicht mehr zu Hause oder in unmittelbarer Umgebung wohnen oder keine eigenen Kinder vorhanden sind.
— Der Bedarf an professionellen ambulanten und stationären Angeboten wird steigen und gleichzeitig eine geringere Anzahl an Pflegern zur Verfügung stehen, da es aufgrund der Unattraktivität des Pflegeberufes an Nachwuchs fehlt und die Belegschaft ebenfalls altert.
— Der veränderte Anspruch auf Pflegeleistungen (spezialisierte Pflege) führt zu einem hohen Zeitaufwand und Kostendruck sowie zur Belastung des Pflegepersonals.
— Die Technik wird in der Pflege zukünftig eine große Rolle spielen.
Literatur:
Statistisches Bundesamt (2017): Pressemitteilung vom 28. Februar 2017– 67/17: 43 Millionen Privathaushalte im Jahr 2035. Wiesbaden
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2006): Fünfter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Potenzial des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft – Der Beitrag älterer Menschen zum Zusammenhalt der Generationen. Berlin.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2015): Siebter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Sorge und Mitverantwortung in der Kommune – Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften. Berlin
Bürkner, Berger, Luchmann, Tenz (2007): Der demographische Wandel und seine Konsequenzen für Wohnungsnachfrage, Städtebau und Flächennutzung. Working Paper. Erkner. Leibniz-Institut für Regional und Strukturplanung.
Leser, H. (2008): Stadtökologie in Stichworten. 2. völlig überarbeitete Auflage. Gebrüder Borntraeger Verlagsbuchhandlung. Berlin.
Peter, A. (2008): Stadtquartiere auf Zeit in einer alternden Gesellschaft. Universität Leipzig. Dissertation.
Politische Handlungsfelder oder warum ist der Demografische Wandel ein Problem?
Der demografische Wandel ist ein viel diskutiertes und analysiertes Thema, aber erst seit dem Jahr 2000 in der öffentlichen politischen Debatte richtig angekommen, obwohl es schon deutlich eher bekannt und absehbar war. Thematisiert wurden vorwiegend die Finanzierung der Renten, Arbeitsmärkte (Fachkräftemangel) und das Gesundheitssystem. Dabei ist der Demographische Wandel ein viel vielschichtiger und komplexer Veränderungsprozess, der sämtliche Lebensbereiche und räumlich betrachtet, jeden Winkel dieses Landes betrifft: Städte wie ländliche Räume, Ostdeutschland wie Westdeutschland.
Großstädte stehen gerade vor der Herausforderung für den zunehmenden Zuzug jüngerer Menschen Lösungen zu finden, dürfen aber nicht die älterwerdenden Stadtteile (besonders Randgemeinden) vergessen.
Kleinere Städte und Gemeinden haben das umgekehrte Problem der Überalterung und des Bevölkerungsverlustes.
Bisher hat Deutschland eher vom demographischen Wandel profitiert, da durch die geringeren Kinderwünsche der geburtenstarken Jahrgänge, weniger Kosten für den Staat in Sachen Kinderbetreuung etc. verursacht wurden. Diese Jahrgänge sorgten für hohe Steuereinnahmen und Einzahlungen in die Sozialsysteme. Der höhere Anteil an erwerbsbeteiligten Frauen und Zuwanderern steigerte die Zahl der Erwerbstätigen und Einzahlenden.
Die zweite nun beginnende Phase dieses Wandels bringt erhebliche Belastungen mit sich. »In wenigen Jahren beginnt die Verrentungswelle der geburtenstarken Jahrgänge. Dann wird die Gesellschaft immer mehr ältere Menschen mitversorgen müssen, während gleichzeitig immer weniger Junge von unten in das Erwerbsleben nachrücken.« (Kiziak, et al., 2014) Das betrifft vor allem die Kinder der Babyboom-Generation, welche nicht nur für die älteren Menschen und ihre Eltern, sondern auch für ihre eigenen Kinder sorgen müssen. Eine effektive Familienpolitik zur Unterstützung dieser Generation ist notwendig.
Die demographischen Veränderungen bringen viele Probleme mit sich, ermöglichen aber auch Chancen. Da die Politik erfahrungsgemäß einige Zeit brauchen wird, um auf die Veränderungen zu reagieren, ergeben sich viele individuelle und kreative Gestaltungsmöglichkeiten des eigenen Alterns. Es liegt an jedem selbst, welche Lösungsmöglichkeiten er für sich schafft.
Literatur:
Kiziak, Kreuter, Michalek, Woellert & Klingholz (2014): Stadt für alle Lebensalter. Wo deutsche Kommunen im demographischen Wandel stehen und warum sie altersfreundlich werden müssen. Berlin-Institut & Körber-Stiftung. Berlin. S. 10
Schmitz-Veltin, Ansgar (2009): Demographischer Wandel in Deutschland - Vielfalt der Regionen. In: Gottwald Marc & Löwer, Markus (Hrsg.): Demographischer Wandel - Herausforderung und Handlungsansätze in Stadt und Region. Arbeitsgemeinschaft Angewandte Geographie Münster e.V. Heft 40. Münster. S.11-26
Erstellt von Maria Baumert | Linkedin folgen