Vom Platzsparen zum gemeinschaftlichen Wohnen
Bei den Worten „gemeinschaftliches Wohnen“ denkt mancher an Wohngemeinschaften, vielleicht auch an Senioren-WGs oder an Mehrgenerationenwohnen. Doch es gibt noch viel mehr Möglichkeiten zusammenzuwohnen. Beginnen wir mit denjenigen, die mehr als Räume teilen: Kommunen teilen gleich den ganzen Besitz, in manchen gibt es sogar eine kollektive Kleiderkammer und kein privates Portemonnaie, außer für Kleinigkeiten. Das ist keine Erinnerung an 1968, sondern die Idee der Kommunen lebt und es gibt Dutzende von ihnen; eng verwandt mit Ökodörfern.
Auch ein Wohnprojekt ist „Mehr als Wohnen“. Man teilt Räume, wobei es sich je nach Projekt extrem unterscheidet, wie weit es geht. Manchmal beschränkt es sich auf einen Gemeinschaftsraum, anderswo teilt man einen Gästeraum, Garten, Werkstatt oder ein Badehaus.
Die Idee des gemeinschaftlichen Wohnens ist so erfolgreich, dass es inzwischen auch kommerzielle Varianten gibt. Bauträger bringen Mehrgenerationenhäuser auf den Weg, professionelle Pflegefirmen gründen Senioren-WGs mit Angeboten für Betreutes Wohnen oder Service-Wohnen.
Junge Leute finden ihre WG heutzutage nicht allein durch Zufall oder Kleinanzeige, da helfen verschiedene Online-Portale wie bring-together.de. Auch beim Co-Living geht es weiter: Anbieter kombinieren die Mitbewohner und stellen sie einander vor. Der Vorreiter für diese Lebensweise basiert auf dem Coworking, bei dem man Arbeitsraum teilt und am Nachbarschreibtisch Gesellschaft oder Projektpartner findet.
Das „gemeinschaftliche“ Wohnen beginnt bereits, wenn zwei Personen zueinander finden: Ein originelles Modell für Untermiete bildet „Wohnen für Hilfe“, bei dem meist keine (oder eine geringe) Miete fließt, sondern stattdessen Hilfe. So helfen junge Leute Älteren beim Einkaufen oder im Garten, Studierende oder Auszubildende wohnen bei Senioren oder bei Menschen mit Behinderung. Über dreißig Vermittlungsstellen gibt es dafür in deutschen Städten.
Vor der Frage „Wen brauche ich?“ steht die Frage „Was brauche ich?“ Das Zusammenwohnen ist eine weitreichende Entscheidung und setzt voraus, über sich selbst nachzudenken, und das beginnt bei den Dingen, mit denen man sich umgibt. Zum Entrümpeln gibt es meterweise Bücher, von Minimalismus bis Feng-Shui, und die guten Ratgeber bringen einen dazu, sich selbst ähnlich zu hinterfragen, wie es für das Zusammenwohnen nötig ist. Umso erstaunlicher, dass bisher keine Entrümpel-Bücher den Schritt danach ansprechen: Wenn es gelingt, sich von überflüssigen Dingen zu befreien, was macht man dann mit dem gewonnenen Platz? Man wird ihn ja kaum wieder vollrümpeln wollen. Da liegt der Gedanke ans Zusammenwohnen nahe – den geschaffenen Platz mit anderen teilen. Man kann Untermieter aufnehmen, Helfer oder gar Pfleger, oder eine WG gründen, eine Senioren-WG und so weiter durch die ganze Palette des gemeinschaftlichen Wohnens.
Diese privaten Entscheidungen, was man braucht und wen man braucht, haben eine politische Wirkung: Wenn in allen Wohnungen und Häusern die Menschen ungenutztes Zeug rauswerfen und stattdessen andere Bewohner dazunehmen, rücken sie zusammen und schaffen Wohnraum. Dann beleben sich Häuser und ganze Stadtviertel, und so wird schließlich Neubau überflüssig. Oft begründet man Neubau, der eine geliebte Wiese zerstört, mit dem Argument, es gehe nicht anders, nur so könne man Wohnraum schaffen. Doch tatsächlich steckt viel ungenutzter Platz in unseren Wohnungen und Häusern, und wenn wir den alle nutzen, retten wir bedrohtes Grün. Insofern ist auch das gemeinschaftliche Wohnen eine persönliche Entscheidung, die politisch wirkt, unsere Freiflächen bewahrt und nicht nur das eigene Umfeld belebt, sondern ganze Nachbarschaften.
Erstellt von Karin Demming in Zusammenarbeit mit Daniel Fuhrhop, Autor und Vermittler für den Stadtwandel in Zeiten des Klimawandels daniel-fuhrhop.de und verbietet-das-bauen.de | Linkedin folgen