Nachhaltig leben im Wohnprojekt

3. Juni 2020 Lesezeit: Lebensstile
Die Nachhaltigkeitsforscherin Salina möchte mit Ihrer Familie ein nachhaltiges Leben führen. Dafür sucht sie ländliche Wohnprojekte oder Ökodörfer. Salina erzählt von Ihrem Traum des nachhaltigen Dorfes und welche Erfahrungen sie bereits auf dem Gebiet gesammelt hat.

Interview mit Salina

Kannst Du Dich kurz vorstellen?

Wir sind eine kleine Familie bestehend aus meinem Mann, unserer zweijährigen Tochter und mir. Wir leben seit 3 Jahren gemeinsam in Leipzig und ich bin nun schon seit 17 Jahren in dieser vor Lebensqualität strotzenden Stadt. Wir leben in einem Hinterhaus in einem lebendigen, jungen Viertel und erreichen über die Kellertür den Auwald – Vogelkonzerte morgens um vier oder der Specht sind unsere Lieblingswecker. Im Auwald ist gerade der Bärlauch verblüht, der den ganzen Wald mit einer schneedecken-anmutenden weißen Verzauberung überzieht. Unsere Hausgemeinschaft ist sehr lebendig – und von gegenseitig auf die Kinder aufpassen, mit Blechbüchsen von Balkon zu Balkon telefonieren, über Zwiebeln und Mehl leihen, gemeinsam im Hof grillen und vor dem Hinterhaus einen Second-Hand-Markt veranstalten, ist alles mögliche dabei. 

Dazu haben wir in 15 Minuten Fahrradentfernung einen 700qm-großen »Kleingarten« in einem waldreichen Landschaftsschutzgebiet. Ich habe die Laube vor 10 Jahren mit Lehmwänden ausgebaut und einen Kamin eingebaut – dort verbringen wir die Wochenenden und halten mit unserer Gartennachbarin zusammen drei Bienenvölker. Mein Mann arbeitet als Lehrer und ich arbeite als Nachhaltigkeitsforscherin an einem Umweltforschungszentrum. 

Was macht eine Nachhaltigkeitsforscherin?

Ich bin von meinem disziplinären Hintergrund Geographin und damit von Haus aus sowohl sozial- als auch naturwissenschaftlich ausgebildet. Damit erschien mir das Thema Nachhaltigkeit früh als unausweichlich. Nachhaltige Entwicklung ist ein international verankertes Entwicklungsziel, das Politiken sowohl auf der lokalen bis zur globalen Ebene beeinflusst. Die Ziele nachhaltiger Entwicklung sind inhaltlich nicht selten konkurrierend: in bestehenden Konzeptionen geht es sowohl darum, weltweit soziale Mindeststandards (Lebensqualität) zu gewährleisten, als auch dauerhaft umweltverträgliche Lebens- und Wirtschaftsstile umzusetzen. Dabei verlangt Nachhaltige Entwicklung sowohl die Bedürfnisserfüllung der heutigen, als auch aller zukünftigen Generationen zu gewährleisten. Dies erfordert robuste Lösungen für das soziale, wirtschaftliche und ökologische Miteinander, die wohl nur über die Integration traditionell segmentierter Politikbereiche möglich sind. 

Im Forschungsschwerpunkt Nachhaltigkeitstransformationen untersuchen wir in unserem Department für Umweltpolitik, wie eine gesellschaftliche Transformation zu mehr Nachhaltigkeit analysiert, organisiert und gefördert werden kann. Dabei ist es uns wichtig, dass wir sowohl mit anderen wissenschaftlichen, politischen aber und vor allem auch gesellschaftlichen Akteuren kooperiieren, so dass unsere Analysen und unser Wissen relevant und gesellschaftlich anschlussfähig sind. Ganz konkret promoviere ich derzeit zu einer Reflexions-Methode, die sich für die unterschiedlichsten Gruppen eignet, sich auf Basis der Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse gemeinsam weiter entwickelt. Diese Methode nennt sich »Entwicklung nach menschlichem Maß« und wurde bereits in den 80er Jahren von dem chilenischen Ökonomen Manfred Max-Neef und Kollegen entwickelt. 

Warum willst du gemeinschaftlich wohnen?

Trotz unseres sehr wertvollen Freundeskreises und unserer lebendigen Hausgemeinschaft fehlt uns ein nahes Umfeld, in das wir uns als Familie integrieren können. Ich habe einfach Lust, nicht nur in unserer engen Kernfamilie zu leben, sondern meinen Alltag mit anderen, vertrauten und nahen Menschen zu teilen, ohne dass ich mich dazu verabreden müsste. Getreu nach dem alten Spruch »es braucht ein ganzes Dorf um ein Kind zu erziehen«, aber eben auch »...ein zufriedenes Leben zu führen«, möchten wir einfach gern mit einer größeren Gruppe von Menschen verschiedenen Alters zusammen leben und uns gegenseitig unterstützen und das Leben miteinander teilen.

In unserem aktuellen Lebenskontext fehlt es mir, dass ich einfach aus dem Haus treten kann und dort einen Garten habe; ich möchte einfach nicht mehr zwei Haushalte haben, zwischen denen ich pendele, sondern ganz ankommen. Und wenn ich mich dann frage, was ich noch brauche und möchte, erscheint das Bild einer Gemeinschaft von Menschen, mit denen ich mein nahes Umfeld teile. 

Ich komme ursprünglich aus Stuttgart und die bewegte Landschaft fehlt mir in Leipzig einfach sehr. Wenn es möglich wäre, die Berge nach Leipzig zu holen, würde  es mich wahrscheinlich nicht sonderlich wegziehen; aber so... Zudem hat sich das Tempo der Stadt in den letzten Jahren doch deutlich erhöht und auch die vielen (Frei)Räume schwinden immer mehr – das strengt mich an und überfordert mich häufig, so dass ich mich nach einem ruhigeren Lebensumfeld sehne. 

Wie lange suchst Du schon und wie ist die Idee entstanden?

Nun; grundsätzlich habe ich mich schon während meines Studiums viel mit internationalen Gemeinschaften beschäftigt – ich bin etwas zufällig in einen vierwöchigen Ecovillage-Design-Education-Kurs in einem Ökodorf in Argentinien hineingerutscht und habe dann über die nächsten zehn Jahre diverse Gemeinschaften und Ökodörfer in Südamerika und Europa kennengelernt. Mir gefällt die Idee eines »nachhaltigen Dorfes«, in dem die Strukturen überschaubar und die sozialen Kontakte nah sind und ich habe verschiedenste Varianten von Projekten kennengelernt. Ich habe dann meine Diplomarbeit über das Ökodorf Sieben Linden in der Altmark geschrieben. Gleichzeitig war es zu diesem Zeitpunkt für mich nicht »dran« selbst in einem derartigen Wohnprojekt zu leben. Nun ist gerade ein Gelegenheitsfenster für uns als Familie offen, indem wir räumlich und beruflich flexibel sein können. Dies möchten wir gern nutzen und haben uns seit Beginn 2020 entschieden, uns von einem Projekt finden zu lassen.

Wie stellst Du Dir das nachhaltige Leben in einer Gemeinschaft vor?

In meiner Traumvorstellung leben etwa 70-90 Menschen zusammen in einem Dorf (idealerweise irgendwo in den Bergen nahe eines Sees) und wir haben darin unser Haus oder Wohnung (ein Projekt das annähernd dieser Traumvorstellung entspricht ist das spanische Dorf Lakabe). Es gibt zusätzlich zu den privaten Küchen eine große Gemeinschaftsküche und wer möchte, beteiligt sich an den Gemeinschaftsessen. Es gibt verschiedene gemeinschaftlich geführte Betriebe und ein Großteil der Bewohner*Innen arbeitet auch in der Gemeinschaft selbst. Es leben einige Tiere mit am Platz und es gibt Strukturen, die regelmäßige Supervison, Reflexion und Konfliktklärung ermöglichen. Die Gemeinschaft weiß zu feiern, humorvoll zu kooperiieren und vor allem aber auch zu entspannen. Das kollektive Sendungsbewusstsein ist gering und mein Terminkalender ist leerer als der vor meinem gemeinschaftlichen Leben.

Hast Du Dir bereits Wohnprojekte angesehen?

Ich habe in sehr unterschiedliche Wohnprojekte mit ganz unterschiedlichen Ausrichtungen, Größen, geographischen Lagen und Ansprüchen zumeist als Gast Einblick gewinnen dürfen: diverse Hausprojekte in Leipzig, das Ökodorf GAIA in Navarro Argentinien, die Fundacion Centro de Capacitacion Fernandez in Argentinien (eine Ausbildungsstätte in der bis zu 80 argentinische Jugendliche leben und Imkerei, Elektrotechnik mit Fokus auf erneuerbare Energien, Ökolandbau und ökolog. Gerberei erlernen), spirituelle Ashrams mit bis zu 120 Personen, die auf Basis der Yoga-Tradition miteinander leben, das Viertel Vauban in Freiburg, das Ökodorf Sieben Linden, das Ökodorf in Planung »Keimblatt-Ökodorf«, Audigast bei Leipzig, die Ökodörfer Lakabe und Matavenero in Spanien, die Schloßgemeinschaft Blumenthal bei Augsburg und die Schloßgemeinschaft Tonndorf in Thüringen, um nur ein paar zu nennen. 

Hast Du schon einmal in einer Wohngemeinschaft gelebt?

Neben klassischen Student*innen-WGs und der jetztigen Wohngemeinschaft mit meinem Mann und Kind habe ich in allen oben genannten auch längere (max. 2 Monate) und kürzere Zeiten verbracht. Was ich am meisten schätze oder in Erinnerung behalte, ist das gemeinsame Kochen und essen und das gemeinsame Sitzen um ein Feuer und dabei singen oder schweigen. In einigen Projekten habe ich einen immensen Workload erlebt und hatte den Eindruck, es bleibt nicht viel Zeit für Pausen. Ich bin sehr gern aktiv, packe an und schiebe (Großes) an; gleichzeitig möchte ich in einem Projekt leben, das mich auch darin unterstützt, Genuss und Muße zu leben.  

Wie bist Du zu bring-together gekommen?

Von bring-together habe ich zum ersten Mal vor ein paar Jahren gehört; damals habe ich die Gründung der Plattform eher von Weitem zur Kenntnis genommen. Mit der oben beschriebenen Entscheidung, uns aktiv auf die Suche nach einem neuen Lebensort zu begeben, habe ich mich erst kürzlich angemeldet. Ich bin sehr dankbar für die systematische Übersicht der Projekte und die Möglichkeiten der Suche von Gleichgesinnten. 

Mehr lesen: Fakten über Wohnprojekte

 

Erstellt von Mary-Anne Kockel | Linkedin folgen

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