Welche Kriterien sind bei der Suche nach einer Gemeinde entscheidend?
Dieses Interview mit Bürgermeister Klaus Hermann ist im Zusammenhang mit Lauras Interview entstanden. Es bezieht sich darauf und stellt die Verwaltungsseite des Prozesses »ein Wohnprojekt auf dem Land gründen« dar. Der Einblick soll Dir helfen die Abläufe sowie Vorgehensweise zu verstehen und zeigen wieviel Zeit Du dafür einplanen kannst.
Mary-Anne Kockel: Kannst Du Dich kurz vorstellen?
Klaus Hermann: Mein Name ist Klaus Hermann und ich bin mittlerweile seit 26 Jahren Bürgermeister in der Gemeinde Treben in Thüringen. Treben liegt im Landkreis Altenburger Land und an der Landesgrenze zu Sachsen. Im Vergleich zu unseren sächsischen Nachbarn sind die Verwaltungsbereiche in Thüringen kleinstrukturierter. Damit sind die Gemeinden kleiner und der Gemeinschaftscharakter ist dadurch familiärer.
Kurz zu meinem Amt:
Hauptamtliche Bürgermeister in Thüringen gibt es in Gemeinden ab 3000 Einwohnern. Kleinere Gemeinden konnten sich zu Verwaltungsgemeinschaften von mindestens 5000 Einwohnern zusammenschließen. Die Verwaltungsgemeinschaft »Pleißenaue« besteht aus 5 Gemeinden mit ca. 5500 Einwohnern. Die Verwaltung findet nur an einem Ort statt. Die einzelnen Gemeinden sind eigenständig und bestimmen selbständig über ihren Haushalt. Die Bürgermeister sind alle ehrenamtlich tätig.
Einer davon bin ich und ich darf sagen, dass die Qualität meiner Arbeit von den Bürgern durch stetige Wiederwahlen getragen ist. Uns als Gemeinde war es wichtig, unsere Eigenständigkeit zu behalten und deswegen haben wir uns nicht eingemeinden lassen. Das gilt es bei der Wahl einer Gemeinde immer zu berücksichtigen. Gemeinde ist nicht gleich Gemeinde. In Thüringen sind die kleinen Orte eine große Familie mit kurzen Wegen und direkter Ansprache – auch mal direkt über den Gartenzaun hinweg. Das ist der große Vorteil von kleinen Gemeinden. Wenn es diese eigenständige Verwaltungsstruktur noch gibt, können die Interessen der Einwohner bestens vertreten werden.
Mary-Anne: Kannst Du die Gemeinde Treben vorstellen?
Klaus: Ich gliedere es mal in drei Bereiche, damit es leichter verständlich ist.
Unsere Geschichte
Treben liegt im Nordosten des Landkreises Altenburger Land an der Landesgrenze von Thüringen und Sachsen. Wir haben ca. 1200 Einwohner inklusive mit weiteren 5 Ortsteilen. Einer davon ist Serbitz. Wir zählen uns zu dem sogenannten ländlichen Raum. Treben wurde ca. 900 n. Chr. urkundlich erwähnt und hat somit eine 1000-jährige Geschichte. Der Sitz der Kirche ist seit ca. 800 Jahren hier. Deswegen sind wir auch ein Verwaltungszentrum, weil vorher die Kirche dafür zuständig war. Treben war dadurch immer ein Versorgungszentrum mit verschiedenen Handwerkern. Die Ortsteile waren landwirtschaftlich geprägt.
Unsere Geografie
Heute können wir sagen, dass Treben geografisch sehr günstig gelegen ist. Es sind 10 Fahrminuten nach Altenburg & Borna sowie 30 Minuten nach Leipzig und Chemnitz. Es gibt eine S-Bahn-Linie von Leipzig nach Zwickau mit dem Haltepunkt Treben-Lehma. Landschaftlich liegt Treben im Auengebiet der Pleiße und wird ergänzt durch den Haselbacher und Pahnaer See. Wir haben hier ein großes Naturschutzgebiet und einen Kammerforst.
Unsere Bevölkerung
Von der Altersstruktur sind wir eine gemischte Gemeinde. Es gibt junge und ältere Menschen. Die Überalterung zeichnet sich leicht ab. Wir werden sehen, wo die Reise in den nächsten Jahren hingeht. Momentan arbeiten wir nicht aktiv an diesem Thema. Wir haben eine Regelschule, eine Gemeinschaftsarztpraxis und eine Kita mit 40 Plätzen. Diese ist aktuell voll ausgelastet, wird aber um 16 Plätze erweitert.
Mary-Anne: Fand in den letzten Jahren ein Zuzug statt, z.B. durch ein LEADER-Programm?
Klaus: Thüringen war beim LEADER-Programm nicht dabei, weil es einen anderen Fokus gab. Es gibt in Thüringen nicht das politische Zugpferd Junge Leute aufs Land. Für uns ist eher die Mietspiegelentwicklung in den Großstädten spannend. Das müssen nicht nur junge Leute sein. Für Menschen mit Familien wäre das Leben auf dem Land ideal, gerade mit den kurzen Entfernungen.
Mary-Anne: Wie fandest Du es, als die Gemeinschaft den Vierseithof übernommen hat?
Klaus: Ich muss dazu etwas ausholen: Aufgrund der Historie Trebens ist unser Verwaltungssitz das Hauptgebäude eines Ritterguts-Ensembles. Am Anfang stand da eine Ruine. Nach der Restauration und Sanierung mit 3 Mio. öffentlichen Geldern ist die Begeisterung riesengroß und natürlich auch die Akzeptanz. So ein Schmuckstück wertet die Gemeinde auf und stärkt die Identifikation. Bei der Sanierung haben wir an alles gedacht. Denkmalschutz ist vollkommen klar, aber auch einen behindertengerechten Personenaufzug und entsprechende Türen sind eingebaut. Und alles in harmonischer Abstimmung von modern und alt. 2006 haben wir den Denkmalschutzpreis des Landes Thüringen dafür gewonnen. Durch die gesammelten Erfahrungen als Bauherren können wir neuen Eigentümern von alten historischen unsanierten Gebäuden zur Seite stehen.
So war es auch bei Laura. Ihr Vater hatte damals bei der Restaurierung geholfen und kannte unsere Gemeinde gut. Der Vierseithof war leerstehend. Der ursprüngliche Besitzer ist nach 1945 ausgereist und damit war der Eigentümer die Kommune. Bei der Besichtigung ist der Funke bei den sechs jungen Leuten übergesprungen. Allerdings muss ich sagen, dass Lauras Gemeinschaft aus dem Baufach ist. Sie wussten, auf was sie sich einlassen. Es hat für uns gut gepasst, weil sie wissen, was für Arbeit in den Vierseithof reingesteckt werden muss und was zu beachten ist. Durch Ihre Berufe können die sechs ihre theoretischen und praktischen Erfahrungen ausleben und es als Schmuckstück ausbauen. Davon profitiert natürlich auch die Gemeinde Treben.
Mary-Anne: Wie sind die 6 Menschen in Treben aufgenommen wurden?
Klaus: Die sechs sind gut angekommen und aufgenommen. Aktuell konzentriert sich die Gemeinschaft auf den Innenbereich. Aber durch kleine Strukturen ist es hier familiär. Das stärkt die Zusammengehörigkeit, gegenseitige Hilfe und Akzeptanz. Gute Nachbarschaft ist die halbe Miete.
Mary-Anne: Was würdest Du jungen Gemeinschaften raten, die aufs Land ziehen wollen?
Klaus: Die Gründe sind unterschiedlich: Natur, Ruhe, günstige Miete, … Bei uns in Treben ist zum Beispiel die ländliche und städtische Struktur zum Greifen nah. Die Suche nach dem Ort ist individuell und an die persönlichen Gegebenheiten und Bedingungen gebunden.
Mein Tipp für die Suche nach einer passenden Gemeinde:
1. Karte anschauen. Sind meine Kriterien wie Naturraum, Nähe zur Arbeit, Infrastruktur, etc. erfüllt?
2. Welche Region gefällt mir?
3. Lerne diese Region kennen. Fahre hin und verschaffe Dir einen Überblick. Prüfe, ob Leerstand besteht.
4. Wende Dich an die Kommune im Speziellen ans Bauamt. Wir als Kommune sind Dienstleister. Welche Möglichkeiten gibt es für eine Vermittlung. Schau Dir Objekte vor Ort an.
5. Hast Du etwas gefunden kommt automatisch der Kontakt zum Bürgermeister zustande.
Der größte Teil der Leerstände sind hier privat und die wenigsten sind kommunal. Die aktuellen Generationen sind nicht mehr Bauern und haben andere Berufe. Der ein oder andere Hof wird von den Kindern veräußert… aber wir haben nicht den Einblick, was daraus wird. Manche wollen vielleicht zurück. Wir haben (leider) keinen Einblick in den Privatbesitz.
Ich möchte trotzdem nochmals Mut machen. Weggerissen ist schnell. Das tolle ist die historische Substanz und das Individuelle spielt eine Rolle. Mit modernen Materialen kann man heute gute Lebens- und Wohnqualitäten auf dem Land schaffen. Das ist ein Erbe, was wir erhalten haben und möchten es auch so weiterreichen. In der DDR ist viel kaputt gegangen. Und wünschenswert ist, dass soviel historisch wertvolle Bausubstanz wieder aufgebaut wird. Durch die sanierten Objekte erhöhen sich zwangsläufig die Wohn- und Lebensbedingungen der Bürger.
Mary-Anne: Was wünschst Du Dir für die Zukunft?
Klaus: Für uns ist es toll, dass junge Menschen historisches Gut wiederbeleben und damit wird ein Stück Gemeinde erhalten. Sie belebt die Ortschaft und das Ortsbild. Solche Beispiele für die stetige Erneuerung von historischen Gebäuden wünschen wir uns häufig und mehr.
Fazit
Du möchtest eine Gemeinschaft auf dem Land gründen? Dann stell Dir folgende Fragen:
— Was will ich?
— Was habe ich für Neigungen, was liegt mir am Herzen?
— Welche Regionen ist geeignet, was passt zu mir?
Der Artikel »Wo möchte ich leben« hilft Dir bei der Entscheidung, was zu Dir passt. Denn Landleben ist nicht gleich Landleben.
Erstellt von Mary-Anne Kockel | Linkedin folgen