Alltag im Mehrgenerationenhaus we-house Herne
Mary-Anne Kockel: Könnt ihr euch kurz vorstellen?
Petra: Ich heiße Petra Kolpak und bin 55 Jahre alt. Wir haben uns frühzeitig für ein Projekt entschieden, das mehrere Generationen umfasst, mit einem kleinen Zusatz: wir matchen auch mit Menschen mit und ohne Behinderung.
Silvana: Ich heiße Silvana, bin 44 Jahre alt und habe immer gern in Gemeinschaft gelebt. Ich komme aus einer großen Familie, aus Chile. Mehrere Jahre habe ich versucht, ein Wohnprojekt mit Freunden aufzubauen. Aber es hat nicht funktioniert. Dann habe ich tatsächlich über die Plattform bring-together das we-house Herne in Nordrhein-Westfalen gefunden. Mir gefallen die unterschiedlichen Menschen, mit und ohne Behinderungen, Omis und Opas, Kinder und Familien. Die einzelnen Menschen, die hier leben, sind inspirierende Geschichten. Die Flurgespräche haben so eine tolle Qualität. Es sind wunderbare Lebensgeschichten, die da zusammenkommen. Wir sind 50 Erwachsene, 10 Kinder und unser Leben ist sehr bunt.
Mary-Anne: Wie seid ihr zum Wohnprojekte gekommen?
Petra: Als wir dazugestoßen sind, war das Mehrgenerationenhaus we-house Herne noch in seinen Anfängen. Wir sind im Januar 2020 dazugestoßen und haben uns erstmal im Rahmen einer Vorstellung kennengelernt, was dieses Projekt sich auf die Fahne geschrieben hat. Wir haben uns in einer Kirchengemeinde getroffen, das Projekt wurde dort vorgestellt. Da gab es zunächst ganz besondere Sachen, wie zum Beispiel, dass die Gemeinschaft keine Genossenschaft ist. Wir sind eine Gesellschaft, die auf Basis einer GmbH und Co. KG, also einer Kommanditgesellschaft gegründet ist. Was ja schon eher eine ungewöhnliche Form der Zusammenkunft und der Zusammenarbeit ist. Das bringt natürlich auch ganz besondere Unterschiede mit, weil wir natürlich eine größere Verantwortlichkeit gegenüber dem Projekt wahrnehmen. Auf der anderen Seite ist das we-house insofern eine große Herausforderung für uns gewesen, weil es nicht nur das soziale Miteinander für uns fördert, sondern wir auch den großen Aspekt der Nachhaltigkeit haben, den Versuch, unseren ökologischen Fußabdruck zu vermindern. So gesehen ist das we-house ein sehr innovatives Projekt, was mit Photovoltaik und Abwärmenutzung arbeitet.
Silvana: Als wir eingezogen sind, waren unsere Wohnungen noch nicht fertig. Deswegen war es manchmal laut und dreckig. Aber dadurch hatten wir die Möglichkeit, zusammen zu gestalten. Es gibt immer wieder Arbeitseinsätze, bei denen wir uns einbringen können. Das schweißt zusammen. Ich bin selbst vom Fach, ich bin Architektin, und habe großen Spaß da mitzugestalten.
Mary-Anne: Wie sieht euer Alltag im Mehrgenerationenhaus aus?
Petra: Als wir einziehen wollten, waren ganze Teile unserer Wohnung noch gar nicht fertig. Wir haben einige unserer neuen Nachbarn gefragt, ob sie uns das Wochenende helfen können, damit wir das Gröbste machen konnten, um einziehen zu können. Am Ende waren 8 bis 9 Helfende beteiligt, sodass wir eine Woche später einziehen konnten. So hat sich das während der Einzugsphase immer wieder ergeben, dass sich die Nachbarn gegenseitig beim Einzug unterstützt haben. Wir haben Kisten und Betten geschleppt oder mal auf Kinder aufgepasst und so die Einzüge unterstützt. So etablierten sich dann nach und nach auch unsere Arbeitseinsätze, durch die wir festgelegt haben, dass das keine Gewerke mehr machen sollen, sondern dass wir das selbst in die Hand nehmen. Dass wir alle 14 Tage Arbeitseinsätze hatten, um Räumlichkeiten zu gestalten, um was sauberzumachen, um Sachen von A nach B zu transportieren, um die Platzprobleme zu beheben. Also unser Alltag ist ziemlich spannend und hat viele positive Routinen, zum Beispiel Kinoabende und Spielabende.
Silvana: Diese ganzen Menschen, die zusammentreffen, haben alle unterschiedliche Interessen und Lebensläufe. Das kommt zusammen, man findet Gleichgesinnte. An der Stelle muss ich sagen, Petra, als meine Kinder und ich uns das erste Mal zusammen vorgestellt haben im we-house, da gab es ein spontanes gemeinsames Abendessen. Da saßen wir uns gegenüber und ich habe erzählt, dass ich so gerne male und es gerne in Gemeinschaft machen würde. Und da sagtest du zu mir »Ja, das mache ich auch gerne. Ich wollte ein Malcafé anbieten.« Meine Tochter guckte mich an und sagte »Mama wir müssen hier wohnen!«. Das war so magisch, dieser Moment. Ich dachte »Ja, es gibt den Platz, es gibt die Lust, Sachen zusammen zu machen.« Einmal im Monat veranstaltet Petra das Malcafé. Manchmal treffen wir uns zusätzlich im kleineren Kreis, um zusammen künstlerisch tätig zu sein. Es gibt alle paar Wochen mal ein Kulturcafé oder ein Brunch, wo sich die Gemeinschaft trifft. Alle ein bis zwei Wochen gibt es unsere Donnerstag-Abend-Treffen, bei denen wir uns austauschen.
Der Gemeinschaftsraum ist immer sehr lebendig, da ist immer was los. Und vor dem Gemeinschaftsraum gibt es jetzt eine wunderschöne Tafel, auf der man sehen kann, was für Veranstaltungen am Tag stattfinden. Es wird Yoga gemacht, zusammen gekocht und gespielt. Viele Sachen stehen auf der Tafel, aber manches ergibt sich auch einfach spontan. Mal zusammen singen, mal zusammen spazieren … es ist sehr lebendig und immer was los in unserer Hausgemeinschaft. Das sagen meine Kinder auch.
Mary-Anne: Was gibt es denn eurer Meinung nach für Vorteile im Mehrgenerationenhaus zu wohnen?
Silvana: Meine Kinder sind 9 und 12 Jahre. Ich habe mir immer gewünscht, dass sie Bezugspersonen außerhalb der Familie haben. Meine Tochter ist jetzt in der Pubertät. Ich finde vor allem in der Zeit ist es sehr schön, irgendwelche Personen zu haben, an denen man sich orientieren kann und die nicht die Eltern sind. Meine Tochter hat gesagt: »Mama, ich kann hier im we-house immer irgendwen finden, der mir was erzählen oder beibringen kann.« Und das tun sie auch. Zum Beispiel spielt und arbeitet sie gerne mit Holz und hier gibt es wunderbare Leute, die sich super auskennen. Sowas könnte ich gar nicht leisten. Ich finde, dass Familien mit Kindern allgemein den großen Vorteil haben, dass die Jüngeren und Älteren, die Kinder und auch die Eltern voneinander lernen können. Man bringt sich ständig etwas bei. Das finde ich großartig.
Petra: Wir haben bereits in verschiedenen Mehrgenerationenprojekten gelebt. Der Ansatz, Ressourcen zu teilen, lag uns am Herzen. Wir haben ihn uns auf die Fahne geschrieben. Ob es nun car-sharing-Konzepte sind oder das Teilen der Waschmaschine – wir haben durch eine gemeinsame Infrastruktur einfach geringere Kosten, wir können Gästezimmer und Gemeinschaftsräume einfach wirtschaftlicher tragen, weil wir sie gemeinsam nutzen. Auch die soziale Vielfalt möchte ich auf keinen Fall mehr missen. Die Betreuungsmöglichkeiten, die sich anbieten, dass der Nachwuchs einen Babysitter oder eine Leihoma oder einfach Spielgefährten findet. Und andersrum – wenn ich mal älter bin, dass man sich einfach mit seinen Nachbarn eben mal kurz hinsetzt und austauschen kann. Ich weiß ganz genau, ich werde im Alter nicht einsam sein. Last but not least das Thema geringerer ökologischer Fußabdruck. Durch die gemeinsame Nutzung einer Photovoltaik-Anlage und die Nutzung von Abwärme der Mobilfunkanlagen, mit der wir im Grunde genommen die Wärme unseres Wassers gestalten, also all das sind für mich wahnsinnig große vorteilhafte Aspekte, die ein Mehrgenerationenprojekt einfach auch ausmachen.
Mary-Anne: Habt ihr einen Tipp für andere Projekte, die sich Mehrgenerationenwohnen öffnen wollen? Was ist zu beachten?
Petra: Ich glaube, ganz wichtige Aspekte beim gemeinsamen Wohnen sind immer: gemeinsames Planen, gemeinsame Auseinandersetzungen, gemeinsames Streiten und eine gemeinsame Organisationsstruktur. Diese hat uns schon das ein oder andere Mal herausgefordert und wir wussten in dem Moment nicht genau, wie wir damit umgehen. Einen langen Atem, Geduld, viel Respekt füreinander und trotz allem, wenn es mal überhaupt nicht gut funktioniert, weiterhin wertschätzend miteinander umzugehen.
Silvana: Das würde ich so unterschreiben. Es ist Geduld gefragt. Ganz oft fangen solche Projekte mit einer Konstellation von Menschen an, die am Ende das Projekt gar nicht beenden oder darin einziehen. Es dauert, bis ein Wohnprojekt entsteht und auf dem Weg passieren Dinge, die man am Anfang nicht richtig berücksichtigt hat. Das ist eine wichtige Eigenschaft: das Umplanen. Dass man improvisieren kann, dass man die Sachen annehmen soll, wie sie kommen und trotzdem das Ziel nicht aus den Augen verliert. Für mich sind es manchmal diese magischen Momente in der Gemeinschaft, die mir Kraft geben, auch wenn es schwierig wird. Das ist das, was die Gemeinschaft ausmacht. Diese Momente, in denen wir zusammen wachsen.
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Erstellt von Mary-Anne Kockel | Linkedin folgen
Über das gemeinsame Wohnen im Mehrgenerationenhaus
Schau dir das vollständige Interview mit Petra und Silvana an. Den Link zum Wohnprojekt we-house Herne findest du direkt unter dem Artikel.
Eine ausführliche Beschreibung zum Wohnprojekt we-house Herne und dem »Leben mit kleinstem Fußabdruck« findest du im Download.
Mit bring-together kannst du akuelle Wohnprojekte im Mehrgenerationenhaus finden und mit dem PLUS Tarif anschreiben.
Ein Mehrgenerationenhaus ist eine Begegnungsstätte in der sich Senioren, Eltern und Kinder zum gemeinsamen Austausch treffen. Eine genaue Erklärung, was Mehrgenerationenhaus ist, findest du in unserem Glossar Gemeinschaftlich Wohnen von A bis Z.