Villa Pappelheim mit solidarischem Lebensstil

23. Oktober 2023 Lesezeit: Wohnformen
Julia und Arne wohnen in der Villa Pappelheim in Hessen. Die Villa war ein ehemaliges Kinderheim. Heute leben über 20 Erwachsene und 10 Kinder als gemeinschaftliches Wohnprojekt dort. Ein Grund dafür ist eine Schule in der Nähe, die nach den Grundsätzen von Maria Montessori unterrichtet. Julia ist vor 7 Jahren eingezogen und hat beim Aufbau der Gemeinschaft mitgeholfen. Arne lebt seit 1,5 Jahren im Wohnprojekt, ist Elektroingenieur und betreut die interne Schreinerei. Beide erzählen in diesem Interview vom solidarischen Lebensstil in Gemeinschaft, über Routinen im Alltag und welche Möglichkeiten und Herausforderungen es bei der Umgestaltung einer alten Villa gibt. Zum Schluss erfährst du, wie du beim Wohnprojekt mitmachen und die Villa Pappelheim kennenlernen kannst. [inkl. Video]
bring-together stellt die Villa Pappelheim mit solidarischem Lebensstil im Wohnprojekt in Hessen vor. Eine Schule nach Maria Montessori in der Nähe ist ein Grund dafür.
© Villa Pappelheim. Villa mit solidarischem Lebensstil in Hessen.

Mary-Anne Kockel: Ich habe heute Julia und Arne von der Villa Pappelheim zu Gast. Und ich habe sie gefragt, was das besondere an ihrer Villa ist. Könnt ihr beiden euch vorstellen?

Julia: Ich bin Julia, ich bin 45 Jahre und wohne seit 7 Jahren im Wohnprojekt. Ich bin von Beruf Geologin.

Arne: Mein Name ist Arne, ich bin 34 Jahre alt und erst seit 1,5 Jahren hier im Wohnprojekt Villa Pappelheim. Ich arbeite in der Elektrotechnik und betreue unsere interne Schreinerei, die wir gerade aufbauen.



Mary-Anne: Was genau ist die Villa Pappelheim? Wie viele Menschen leben im Wohnprojekt

Julia: Wir sind in Hessen, in der Nähe von Limburg an der Lahn. Das liegt zwischen Bonn und Frankurt. Im Moment sind wir 30 Menschen, davon 20 Erwachsene und 10 Kinder und Jugendliche. Wir haben noch ein bisschen Platz und ein zweites Haus, das im Moment nicht bewohnbar ist. Dort können noch zusätzlich 8 Menschen leben. Wir sind zwischen Anfang 30 Jahre und Ende 60 Jahre. Ziemlich bunt gemischter Haufen. Zur Ausrichtung: Wir wollen einen kinderfreundlichen Ort schaffen, wo die Kinder sich gut entfalten und aufwachsen können. Ansonsten lernen wir aneinander und miteinander. Wir haben eine ökologisch-soziale Ausrichtung.

Arne: Wir haben aktuell einen FSJler (Freiwilliges soziales Jahr), der 24 Jahre alt ist. Darüber hinaus gibt es auch Bufdi-Stellen (Bundesfreiwilligendienstleistende).



Mary-Anne: Julia und Arne, wie seid ihr zum Wohnprojekt gekommen? Und wie sah es zu diesem Zeitpunkt aus?

Julia: Ich bin beruflich bedingt in diese Gegend gezogen und habe tatsächlich drei Jahre gebraucht, um das Wohnprojekt zu finden. Das Wohnprojekt gab es damals erst 2,5 Jahre und dies war ganz gut für mich, weil die ersten Jahre hier sehr hart waren. Das Haus war total kaputt, es gab keine Heizung, keine funktionierenden Wasserleitungen. Als ich dann eingezogen bin, hat alles schon einigermaßen funktioniert und das Haus war gut bewohnbar. Und dann wurde das Haus Schritt für Schritt schöner und jetzt wächst und gedeiht es.

Arne: Ich bin in die Gegend gezogen, weil hier ein Seminarhaus in der Nähe ist, bei dem ich regelmäßig Seminare besuche. Die sind so regelmäßig, dass ich mir dachte, ich könnte auch in die Nähe ziehen. Für mich war klar, dass ich in eine Gemeinschaft ziehen möchte. Und habe über bring-together gesucht und die Villa Pappelheim gefunden. Nach dem Seminar bin ich hierhergezogen und war total begeistert und berührt. Es war sehr schön, die ersten Erfahrungen und das erste Kennenlernen. Ich habe mich dann schnell entschieden und bin nach einem halben Jahr eingezogen. Das Haus war da schon fertig und die Heizung ging natürlich. Danach habe ich das zweite Gebäude gesehen und gedacht, hier kann ich arbeiten und etwas gestalten.

 

Mary-Anne: Was habt ihr für eine Ausrichtung? 

Julia: Uns ist es wichtig, dass wir einen achtsamen Umgang pflegen. Und dass wir miteinander herausfinden, wie kann es funktionieren, dass so viele unterschiedliche Menschen gut zusammen leben können. Auch wie wir das Projekt zusammen gestalten können und sowohl verständnisvoll als auch achtsam miteinander sind. Wir beschäftigen uns mit gewaltfreier Kommunikation und anderen Methoden zur Gruppenbildung und Persönlichkeitsentwicklung.

Arne: Innerhalb der Gemeinschaft werden gerade die ersten Betriebe gegründet. So sind wir wirtschaftlich nicht mehr nur von außen abhängig, sondern können auch in der Gemeinschaft beruflich tätig sein. Wollen wir das mit der Schwimmhalle erzählen?

Julia: Ja, wir haben eine alte Schwimmhalle an unserem Gebäude dran. Es ist ja ein altes Kinderheim. Diese Schwimmhalle war jahrelang vollgerümpelt. Und jetzt haben wir sie komplett ausgeräumt und aufgeräumt. Es soll in Zukunft ein Veranstaltungsraum werden. Dazu muss sie noch umgebaut und renoviert werden. Hier sollen Seminare, Tanzveranstaltungen und Yoga stattfinden. Die Halle ist 240 qm.

Arne: Wir hatten auch schon Konzerte darin.



Mary-Anne: Bei Villa muss ich immer an die Villa Kunterbunt denken und an die vielen Gestaltungsmöglichkeiten, die es gibt. Wie seid ihr auf den Namen Villa Pappelheim gekommen?

Julia: Was wir mit einer Villa gemeinsam haben, ist, dass das Gebäude alt und groß ist. Es sind 1500 qm Wohnfläche und da ist die Nutzfläche noch nicht mitgezählt. Es war mal ein Kinderheim und so war auch die Raumaufteilung. Die Badezimmer waren vom Zimmer zugänglich und nicht vom Flur. Also haben wir in den ersten Jahren und auch heute immer mal wieder Türen versetzt und Wanddurchbrüche gemacht, Wände herausgerissen und Wände eingezogen. Und da sich das Haus auch immer wieder verändert, wenn jemand neues einzieht, ändern sich die Bedürfnisse und damit die Räume.

Arne: Und ich finde, wir haben eine Pappelallee. Na ja, es ist eher eine halbe, weil die Bäume nur auf einer Seite der Straße stehen. Die sieht man sehr schön, wenn wir hier aus dem Fenster herausschauen.

Julia: Das ist die hintere Begrenzung unseres Grundstückes. Und so kam dann auch der Name zustande. Das Projekt hieß lange: ein neues Wir. Und vor zwei Jahren haben wir uns entschieden, dass wir gern einen modernen Namen für diesen Ort hätten. Und jetzt heißt dieser Ort: Villa Pappelheim, mit der Pappelreihe als Wahrzeichen. Diese Pappeln sieht man schon von der anderen Seite des Tals. Und wir haben schöne Sonnenuntergänge jeden Abend. Und die Villa kam dazu, weil es schicker klingt.

 

Mary-Anne: Was habt ihr für Räume im Wohnprojekt? Welche Vorteile ergeben sich, in so einem großem Haus zusammen zu wohnen?

Arne: Von der Gebäudeaufteilung ist es so: Im Erdgeschoss gibt es große Gemeinschaftsräume, wie Küchen und Essensräume, wo alle zusammen essen können. Es gibt eine große Gemeinschaftsküche mit Speisekammer. Im Erdgeschoss gibt es einen größeren Raum, den nennen wir Café. Es war wahrscheinlich auch mal ein Café mit Durchreiche. Dann gibt es einen Kinoraum mit Beamer und Leinwand, der auch für Gruppentreffen und Seminare geeignet ist. Es gibt einen Toberaum für die Kinder, der voller Matratzen ist. Da können sie herumwuseln und herumspringen.

Julia: Unser Essraum ist eine Mischung auf Wohnzimmer und Essraum, mit vielen Sofas und einem Ofen.

Arne: In der Mitte ist ein riesiges Treppenhaus. Von dort kommt man in die private Wohnung oder in die Wohngemeinschaft (WG).

Julia: Im Moment gibt es nur eine Familienwohnung und 7 WG-Wohnungen.

Arne: Es gibt einen Innenhof zum Garten, den die Kinder lieben. Da kann man sich treffen und sonnen und ist nur einen Schritt vom Garten entfernt. Das ist traumhaft.



Mary-Anne: Feiert ihr dann auch zusammen Weihnachten? Wie kann ich mir das vorstellen?

Julia: Das ergibt sich ganz unterschiedlich. Einige bleiben in ihren Familien und andere fahren zu ihren Großeltern. In den letzten Jahren sind auch einige hier geblieben, haben zusammen gefeiert und ein Weihnachtsessen veranlasst. Das sind ungefähr die Hälfte der Menschen. Auch Silvester sind wir hier oft zusammen.

Arne: Ja, auch die Feiertage und Geburtstage werden gefeiert. Da kommen immer alle zusammen mit Kaffee und Kuchen und singen.

 

Mary-Anne: Was sollte ich mitbringen, wenn ich bei euch mitmachen möchte?

Julia: Wir wünschen uns Menschen, die mitmachen wollen und Lust haben, sich einzubringen. Die das Wohnprojekt voranbringen und mitgestalten. Obwohl es diesen Ort schon 10 Jahre gibt, gibt es noch ziemlich viel zu tun. Da brauchen wir Menschen, die Kapazität haben und Bock. Wir haben auch noch dieses zweite Haus mit 500 qm. Da können Menschen einziehen, die es sich vorher sanieren. Wir hatten im Moment noch nicht das Geld und die Zeit dafür. Und man sollte Lust haben, sich mit sich selbst und anderen auseinanderzusetzen. Denn es ist eine große Herausforderung bei so vielen verschiedenen Menschen, die hier leben.

Arne: Es ist super, wenn man wenigstens WG-Erfahrungen hat, oder aus einer Gemeinschaft oder einem Verein kommt. Es ist wichtig, dass du relativ gefestigt bist und nicht gerade in einem großen Lebensumbruch steckst. Zum Beispiel in einer Trennung, weil dann viel auf die Gemeinschaft projiziert wird. Es ist eigentlich andersherum als du am Anfang denkst. Es ist gerade am Anfang anspruchsvoll, mit so vielen Menschen zusammenzuleben. Deswegen ist es wichtig in einer entspannten Lebenssituation in die Gemeinschaft zu kommen, Lust haben mitzumachen, etwas zu geben, etwas zu gestalten. Wenn du Lust hast, dein Leben, das Leben der anderen und das Leben zusammen mitzugestalten, dann bist du hier genau richtig. Und dann kommt auch ganz viel zurück.

Julia: Wir müssen gerade auch auf unser Gleichgewicht der Generationen achten. Wir werden ja automatisch immer älter :-) und deswegen suchen wir stärker Menschen bis Mitte 40.

Arne: Gerne junge Familien, weil wir stark auf Kinder ausgerichtet sind. Hier gibt es eine Montessori-Schule in der Nähe.

Julia: Es dürfen aber auch nicht zu viele Kinder sind. Denn die Räume und das Essen wird gemeinschaftlich getragen. Und weil noch soviel ansteht an Sanierungsprojekten müssen wir schauen, wir mit unserem Budget hinkommen. Es gilt also immer die Balance zu halten. Eltern, die mit drei Kindern voll ausgelastet sind, haben nicht die Kapazität sich in eine Gemeinschaft einzubringen. Also junge Paare mit einem Kind wäre unser Wunsch. Aber am Ende sind wir für alle offen und es muss passen.

 

Mary-Anne: Wie meint ihr das, dass die Kinder von der Gemeinschaft getragen werden?

Arne: Wir haben eine Food-Coop (Kooperation mit einem Lebensmittellieferanten) und bestellen vom Bio-Großhändler unsere Lebensmittel. Ein kleines Team bei uns kümmert sich darum. Es wird unter der Woche einmal am Tag für alle gekocht. Auch die Lebensmittel können sich alle einfach nehmen. Und die Kinder zahlen dafür nichts und die Eltern auch nicht. Dies wird gemeinschaftlich getragen. Also zahlen auch die, die keine Kinder haben, für die Kinder der anderen mit, sowohl Wohnraum als auch Essen. Das wird solidarisch geteilt.



Mary-Anne: Wie sieht der Alltag in der Villa Pappelheim mit solidarischem Lebensstil aus? Was habt ihr für Routinen?

Julia: Die wichtigste Routine ist, dass einmal am Tag für alle gekocht wird. Das sind ein bis zwei Menschen aus der Gemeinschaft, die einmal die Woche mit dem Kochdienst dran sind. Bei uns sind die Wochenenden nicht besetzt. Das kann sich aber auch gerne wieder ändern, wenn wir mehr Menschen sind. Für die, die mittags hier sind, gibt es Essen. Manchmal auch abends, das entscheidet der Kochdienst, wann er kochen möchte. Wer tagsüber arbeiten ist und erst abends kommt, für den ist auch noch was übrig. Ansonsten haben alle ihren eigenen Alltag und wir sehen uns so, wie es sich ergibt. Als festen Termin haben wir einmal in der Woche den Besprechungskreis. Da starten wir mit einer Befindlichkeitsrunde und sprechen über organisatorische Themen. Alle 6 Wochen gibt es einen Supervisionstermin. Da bekommen wir externe Begleitung, auch wenn es schwierigere Themen gibt. Im Moment ist das kombiniert mit einem Training in gewaltfreier Kommunikation. Und dann gibt es die verschiedenen Arbeitsgruppen für die ganzen Sachen, die hier zu erledigen sind. Angefangen vom Kochen und Einkaufen, über organisatorische Themen, Bau- und Sanierungsthemen, bis hin zu Öffentlichkeitsarbeit. Diese AGs treffen sich individuell einmal in der Woche. Wir versuchen gerade, ein Soziokratie-System für die AGs aufzubauen.

Arne: Und wir haben die Workcamps. Meistens am ersten Wochenende im Monat machen wir ein Workcamp. Hier empfangen wir Gäste von Freitag bis Sonntag. Du kannst dann in die Villa kommen und die Gemeinschaft kennenlernen. Bei dem Probewohnen machen wir ein paar Kreise mit dir und essen zusammen. Und dann wird zusammen am Haus und im Garten gearbeitet. Wenn man zusammen etwas unternimmt, ist es sehr einfach sich im Fluss kennenzulernen. Man bekommt viel von den Menschen, die hier leben mit und von den Menschen, die am Wochenende neu dabei sind.

Julia: Ich finde es immer wieder faszinierend, wie wenig es sich nach Arbeit anfühlt.

Arne: Ja, wir bekommen viele gute Rückmeldungen über die Workcamps. Leider nehmen wir diese nie auf. Aber schau gerne selbst vorbei.



Mary-Anne: Jetzt sind wir schon wieder am Ende. Ich möchte euch das letzte Wort geben. Was wünscht ihr euch für die Zukunft?

Arne: Ich wünsche mir weitere Menschen hier, die Lust haben, mit uns in Gemeinschaft zu leben. Das meiste geht eigentlich gerade in Erfüllung. Ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn die nächsten Umbau- und Sanierungsarbeiten ohne große Komplikationen realisiert werden können.

Julia: Ja, es wäre super, wenn das leerstehende Gebäude saniert und bezogen werden würde. Wir sind gerade am Anfang von einem Heizungsumbau von Ölheizung auf Wärmepumpe. Da wünsche ich mir, dass dies komplikationslos funktioniert. Und dann steht noch die Dachsanierung an. Bei dieser Sanierung soll das Dach mit Fotovoltaik eingedeckt werden.

Arne: Ich wünsche mir, dass das Schwimmbad als Kulturhalle 2024/2025 eingeweiht wird und wir nach der Einweihungsfeier einen schönen Kultursaal haben.

 

Mehr lesen: Fakten über Wohnprojekte | Junge Familien in großer GemeinschaftVon der Patchworkfamilie zur Gemeinschaft | Vom Platzsparen zum gemeinschaftlichen Wohnen | reduzierter CO2- Fußabdruck durch gemeinschaftliches Wohnen | Wo möchte ich leben?

 

Erstellt von Mary-Anne Kockel | Linkedin folgen

Mit solidarischem Lebensstil in der Villa Pappelheim leben

Schau dir das vollständige Interview mit Julia und Arne an. Den Link zur Villa Pappelheim findest du direkt unter dem Artikel.

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